Der Einsatz
Atmosphäre in dem kleinen Raum war zum Zerreißen gespannt.
«Warten Sie noch einmal eine halbe Stunde», sagte Harry. In der Zwischenzeit versuchten sie, sich so gut es ging zu beschäftigen, studierten Stadtpläne von Maschhad und berieten,wo sie die Nacht verbringen sollten, falls sich das als nötig erwies. Karim hielt die ganze Zeit sein Handy in der Hand. Schließlich warf Harry einen Blick auf die Uhr und nickte. Ein letzter Versuch.
Nach dem dritten Klingeln nahm Reza ab. Er hatte Karims Nummer erkannt und freute sich außerordentlich, von seinem alten Freund zu hören. Seine Begeisterungsrufe drangen aus dem Handy, das Karim sich ans Ohr hielt, bis in den Raum hinein. Karim erzählte ihm, dass er seinen Verwandten einen Besuch abstatten wolle, dem Vetter und dessen Familie, bei denen er während seiner Zeit im Forschungszentrum Ardabil gewohnt hatte. Er werde am nächsten Tag in Maschhad sein. Ob er auch bei Reza im Labor vorbeischauen könne?
«Rast migi?»
, fragte Reza zurück. Ist das dein Ernst?
Ja, erwiderte Karim, er sei bereits unterwegs und werde morgen am frühen Nachmittag eintreffen. Sie könnten sich gegen zwei im Forschungszentrum treffen.
«Man bastam!
», rief Reza. Ich bin dabei! Es sei ohnehin viel zu langweilig in Maschhad, alle alten Freunde seien fort. Er riet Karim, seinen alten Ausweis mitzubringen. Er würde den Sicherheitskräften Bescheid sagen.
Für den Abend setzte Adrian eine letzte Besprechung mit seinem Team an. Sie würden am nächsten Morgen schon bei Tagesanbruch aufbrechen. Man einigte sich darauf, Marwan mit dem Stromgenerator, aus dem sich der computerchipvernichtende Taser speisen würde, vor dem Forschungszentrum zu postieren. Er musste sich in einem Umkreis von fünfhundert Metern aufhalten, was nach den Luftbildern zuurteilen, die ihnen vorlagen, nicht allzu schwierig sein würde. Die Außenmauer, die das Gelände abschottete, war nur etwa dreihundert Meter vom Gebäude entfernt. Dann berieten sie, wie sie mit dem jungen Doktor Molavi verfahren sollten, und unterhielten sich auch lange über dessen iranischen Freund Reza – ein Thema, das alle Beteiligten belastete, aber trotzdem nicht vermieden werden konnte.
Harry kam hinzu, als die Planungssitzung schon fast zu Ende war. Er war ein letztes Mal mit Karim den Ablauf durchgegangen. Jetzt wollte er noch einmal jedem Mitglied von Adrians Team, jedem Teil des
Increment
, in die Augen sehen. Adrian fragte ihn, ob er den Leuten noch etwas sagen wolle.
«Lasst euch nicht erwischen», sagte Harry. «Wir können uns bei dieser Operation nicht den kleinsten Fehler erlauben. Falls man euch gefangen nimmt und euch verhört, werden die Iraner einen Schauprozess daraus machen, und dann … Ich sage euch, wegen so was werden Kriege angezettelt. Also lasst euch einfach nicht erwischen.»
«Was heißt das genau?», fragte Adrian. Bisher hatte er es erfolgreich vermieden, über diesen Aspekt des Einsatzes nachzudenken, doch Harrys Bemerkung war die Stecknadel, die auch diesen Ballon zum Platzen brachte.
«Das heißt, schießt euch den Weg frei, wenn euch jemand aufzuhalten versucht, vor allem, wenn es sich um ernstzunehmende, bewaffnete Gegner handelt. Lasst niemanden zurück. Entweder ihr kommt alle heil da raus oder eben gar nicht. Aber ganz gleich, was passiert: Keiner von euch darf lebend gefasst werden. Ist das klar?»
Stille senkte sich über den Raum. Adrian wandte den Blick ab, und weder Hakim noch Marwan verzogen auch nur eine Miene. Sie blickten so konzentriert wie Falken, die ihre Beute bereits erspäht haben und nichts anderes mehr wahrnehmen.
So war es an Jackie zu antworten, und Harry sah sich noch einmal bestätigt: Sie war die Starke. Mit ihren schwarzgefärbten Haaren und dem dunkleren Teint schien sie eine andere geworden zu sein. Adrian hielt den Blick weiterhin abgewandt.
«Ich bin mir sicher, Sir, dass es keine Probleme geben wird», sagte Jackie. «Wir wissen, wie man so was macht. Und wir werden alle zurückkommen. Das ist schließlich unser Job.»
32 Maschhad/Iran
Der Hubschrauberflug von Aschgabat nach Sarakhs dauerte etwas über eine Stunde. Sie folgten zunächst der Hauptverkehrsstraße Richtung Osten und flogen dann nach Süden weiter, über verwildertes Ackerland, ausgelaugt von vielen Jahrzehnten sowjetischer Monokultur. Adrian und Harry waren mit an Bord. Jeder von ihnen hatte seinen ganz persönlichen Grund dafür, auf der turkmenischen Seite der Grenze warten zu wollen,
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