Der Einsatz
nur ein Bruchteil des gesamten Nachrichtenverkehrs entschlüsselt worden, doch selbst wenn die Nachrichten nicht in Klartext zu lesen waren, zeigte die Analyse doch ganz eindeutig, dass wichtige Leute, bekannte Mitglieder des iranischen Sicherheitsdienstes, von ihren üblichen Stellen abgezogen und nach Hause beordert worden waren.
Aus einer Ahnung heraus rief Harry bei den Computercracks von der Antiterrorismus-Abteilung an und bat sie, kurz einmal alle Passagiere zu überprüfen, die in den letzten zwei Tagen von Europa nach Teheran geflogen waren, und mit den Listen aller bekannten Geheimagenten, Sicherheitsleute und Militärs abzugleichen. Nach einer Stunde hatte er eine Liste auf dem Tisch, die belegte, was die Nachrichtenüberwachung schon vermuten ließ: Die wichtigen Leute wurden in Scharen und mit großer Eile nach Hause zurückgeholt.
Marcia streckte den Kopf zur Tür herein. Harry roch den Zigarettenqualm, der ihr in den Kleidern hing. Sie musste wirklich damit aufhören, doch dieser Abend war eindeutig nicht der rechte Zeitpunkt, ihr mitzuteilen, dass er demnächst die Bürovorschriften verschärfen würde.
«Es ist spät», sagte sie. «Sie sollten etwas essen.»
«Ich habe keinen Hunger. Lassen Sie mich in Frieden.»
«Pech gehabt, Harry. Ich habe Ihnen schon was aus der Cafeteria geholt. Besonders appetitlich ist es nicht, aber so ist das Leben nun mal.» Sie brachte ein Tablett herein und stellte es ihm auf den Schreibtisch: einen Teller Erbsensuppe und einen Cheeseburger. Harry verputzte alles dankbar.
Was geschah in Aschgabat? Auch dort mussten die Iraner doch alle verfügbaren Kräfte mobil machen. Mit Sicherheit hatten sie den Mitsubishi Transporter gefunden, mit dem das Team über die Grenze gekommen war, und vermutlich auch den toten turkmenischen Fahrer. Viel konnten sie daraus zwar nicht ableiten, doch sie würden immerhin begreifen, dass Molavi irgendeine Verbindung zu Turkmenistan gehabt haben musste. Das würde Teheran noch viel mehr Angst machen. Um herauszufinden, was genau passiert war, würden sie sämtliche Strippen ziehen müssen, die sie in der turkmenischen Hauptstadt hatten.
Harry rief die Bürochefin des CI A-Stützpunkts in Aschgabat an. Die Frau hieß Anita Pell. In Turkmenistan war es bereits früher Morgen, doch sie klang, als hätte er sie aus dem Tiefschlaf gerissen. Arme Anita. Harry hatte sie nicht darüber informiert, dass er in Turkmenistan gewesen war, und sagte es ihr auch jetzt nicht. Was hätte er auch sagen sollen? Schließlich war er ja als Agent eines fremden Geheimdiensts dorthin gereist, als Agent Großbritanniens.
So bat er Anita Pell nur, umgehend ihren Verbindungsmann beim turkmenischen Geheimdienst anzurufen undsich alle dort vorhandenen Informationen über ungewöhnliche iranische Aktivitäten der letzten Tage geben zu lassen.
«Ich soll ihn
aufwecken
?» Anita Pell klang geradezu empört. Ja, erwiderte Harry, sie solle ihn jetzt sofort aufwecken, dann bei ihm vorsprechen, sobald er bereit war, sie zu empfangen, und alles, was sie von ihm bekam, umgehend an Harry weiterleiten.
Harry hatte Mitleid mit ihr. Als der Posten in Aschgabat im Jahr zuvor vakant geworden war, hatte sie sich als Einzige darum beworben. Acht Monate vorher war ihr Mann mit seiner Sekretärin durchgebrannt, sie war also reif für eine Veränderung gewesen. Und Turkmenistan war eine ruhige, anspruchslose Aufgabe – bis jetzt, wo plötzlich die blanke Panik der Kollegen über sie hereinbrach.
Zwei Stunden später hatte Harry seine Akte Aschgabat. Der Chef des turkmenischen Geheimdienstes hatte Anita Pell höchstpersönlich empfangen, was bisher noch nie vorgekommen war. Er berichtete von höchst ungewöhnlichen Vorgängen in der iranischen Botschaft. Während der letzten beiden Tage habe dort die ganze Nacht über Licht gebrannt, und die turkmenischen Sicherheitsbeamten, die draußen Wache hielten, verzeichneten ein ständiges Kommen und Gehen und berichteten, die Iraner würden im Innenhof Akten verbrennen. Auch im iranischen Konsulat auf der turkmenischen Seite des Grenzortes Sarakhs seien alle rund um die Uhr im Einsatz, und zwei Tage zuvor hätten mehrere Dutzend iranischer Sicherheitsbeamter mit Diplomatenpässen die Grenze passiert, um ihre Kontaktleute in Turkmenistan zu befragen.
«Die Turkmenen wüssten gern, ob sie uns irgendwie helfenkönnen», erläuterte Anita Harry über eine sichere Telefonleitung. «Der Chef ist ganz außer sich. Er sagte, an der
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