Der Einsatz
Durchschnittsamerikaner hatte er einen Filmgeschmack, der bei
Butch Cassidy und Sundance Kid
aufhörte
.
Winkler war in Moskauer Geheimdienstkreisen der unumstrittene Star. Jeder wusste, dass er einen ganz großen Coup durchgezogen hatte, auch wenn den wenigsten bekannt war, worum es sich dabei handelte. Andererseits waren viele neidisch auf ihn, besonders seine eigenen Kollegen beim SIS. Die wenigsten gönnen anderen ihren Erfolg, vor allem, wenn sie noch jung sind. Auch Harry war so etwas wie ein Star. Der Direktor selbst war auf ihn aufmerksam geworden, nachdem er ihm in Honduras begegnet war. Er mochte Leute mit Dreck an ihren Stiefeln und versetzte Harry nach Moskau. Hier war er ein richtiger Führungsoffizier, der sich von keinem Ausbilderschnösel mehr etwas sagen lassen musste.
Harry hielt, was der Direktor sich von ihm versprach. Er brachte die Moskauer Niederlassung auf Vordermann und sorgte dafür, dass sie wieder effektiv arbeiten konnte. Dazu krempelte er etliche Standardprozeduren um: das Abschütteln von KG B-Verfolgern , das Abhören des russischen Funkverkehrs oder das Einrichten toter Briefkästen. Bei der Betreuung eines Agenten, den die Briten und die Amerikaner gemeinsam in Deutschland rekrutiert hatten, arbeiteten Harry und Adrian sogar zusammen. Für Harry, der geradeaus einem gnadenlosen Guerillakrieg im Urwald Mittelamerikas kam, hielten sich die Risiken, die er in Moskau eingehen musste, in Grenzen.
Die beiden jungen Geheimdienstler hielten sich gegenseitig den Rücken frei. Eigentlich hätten sie das beide nicht tun müssen, aber die CIA und der SIS waren «Vettern», und die Ergebnisse ihrer Arbeit flossen zu Hause sowieso in einen gemeinsamen Topf, weshalb sollten sie sich da nicht schon vor Ort unter die Arme greifen? Wenn Harry auf Dienstreise ging, schaute Winkler nach Andrea und Alex, und Harry tat dasselbe mit Susan und den Mädchen, wenn Winkler mal nicht in Moskau war.
Weil Winkler keinen eigenen Sohn hatte, adoptierte er Alex auf gewisse Weise. Als Harry und seine Familie Moskau wieder verließen, nannte Alex den Briten «Onkel Adrian», und Winkler schickte ihm jedes Jahr ein Weihnachtsgeschenk. Immer waren es Bücher – zunächst Abenteuergeschichten wie Rudyard Kiplings
Über Bord
oder die Horatio-Hornblower-Romane von C. S. Forrester, später dann Sachbücher über den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Mit Ausnahme von Sport war Krieg das Einzige, was Alex jemals wirklich interessiert hatte.
Als Alex starb, waren Harry Pappas und Adrian Winkler beide im Irak und beide Stationschefs ihres jeweiligen Geheimdienstes. Und noch etwas hatten sie gemeinsam: die Erkenntnis, dass hier katastrophale Fehler gemacht wurden. Beide hatten sie verzweifelt versucht, das Schlimmste zu verhindern, und beide waren sie gescheitert. An dem Tag, alsAlex starb, wurde aus dem politischen Problem ein persönliches. Als Harry die Nachricht bekam, ging er zu Adrian, der sein Büro in einem halbzerstörten Gebäude nahe dem Palast hatte, der als CI A-Stützpunkt diente. Er schloss die Tür hinter sich, dann fing er an zu weinen und konnte nicht mehr aufhören. Er sagte immer und immer wieder: «Es ist meine Schuld.» Adrian saß neben ihm und fand zu dem Häufchen Elend keinen Zugang. Schließlich fuhr er Harry zum Flughafen und setzte ihn ins nächste Flugzeug nach Hause. Nie zuvor hatte er einen so todtraurigen Menschen gesehen. Ein paar Tage später flog Winkler selbst nach Washington, um dabei zu sein, wenn Alex’ Leiche ankam, und Harry und Andrea bei seiner Beerdigung beizustehen. Danach war nichts mehr wie vorher, für keinen von beiden.
Harry traf Adrian im Hauptquartier des SIS am Albert-Damm auf der südlichen Seite der Themse. Im Volksmund wurde das klobige Gebäude auch «Vauxhall Cross» genannt. Winkler war jetzt Stabschef des SIS, was allgemein als Sprungbrett zum höchsten Posten des Geheimdienstes galt. Harry nahm den Aufzug zum obersten Stockwerk, wo Winkler sein Büro hatte, direkt neben dem von Sir David Plumb, dem mit dem Ritterschlag versehenen Chef des SIS und gegenwärtigen Inhaber der berühmten Initiale «C.». Im Korridor standen neugierige junge Männer in buntgestreiften Hemden, die den Besuch aus Amerika mit kritischen Blicken registrierten.
Auf Harrys Klopfen hin bat Winkler ihn ins Büro und schloss die Tür. Der Raum war mit afrikanischen Maskenund Speeren dekoriert, die auf jeden, der nicht wusste, dass Winkler in Uganda aufgewachsen war, erst einmal
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