Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
vorbestraft. Und deine Mutter täuschte sich normalerweise nicht in den Menschen, oder? Vielleicht ist Charly gar kein so schlechter Kerl.«
Auf Guillermos Gesicht erschien ein dankbares Lächeln.
»Deinem Vater solltest du es auf jeden Fall sagen.« Und als ihr einfiel, dass auch sie Inspektor Salgado etwas zu sagen hatte, fügte sie hinzu: »Ich muss ihm auch etwas erzählen.«
»Ja?«
Leire stellte das Glas ab. Sie wollte nicht mit dem Jungen darüber sprechen. Aber sie könnte ihm zumindest etwas zu essen anbieten.
Guillermo nahm nicht nur das Angebot an, sondern sagte auch, er könne selber etwas zubereiten, was ihm zu Leires Überraschung recht gut gelang. Sie bemühte sich, einen munteren Eindruck zu machen und auch die Nudeln zu probieren, die der Junge gekocht hatte, dazu eine Soße aus frischen Tomaten, gewürzt mit schwarzem Pfeffer, und ein bisschen Hackfleisch, das er im Kühlschrank fand. Sie konnte nicht viel essen, der Schwindel kehrte in Abständen immer wieder. Und nicht nur der.
Er räumte gerade die Teller ab, als ein rasendes Stechen ihr den Atem nahm, sie war blass wie die Wand. Es waren nur ein paar Sekunden, dann verschwand das Gefühl, aber zurück blieben kalter Schweiß und dieser ständige Schwindel.
»Ist etwas mit dir?«
Leire wollte gerade antworten, als der Schmerz wiederkam. Nein, nein, du kannst noch nicht auf die Welt kommen, dachte sie.
»Ich glaube …« Der Schmerz war so groß, dass sie kaum sprechen konnte. »Ich glaube, wir müssen den Notarzt rufen …«
HÉCTOR
39
Die Festnahme von Manel Caballero erfolgte am Donnerstag, den 20. Januar, morgens um halb zehn. Roger Fort und ein weiterer Beamter sprachen ihn an seinem Arbeitsplatz an, vor den verblüfften Augen seiner Kollegen: Er müsse sie aufs Kommissariat begleiten. Der Mann, so erschrocken wie beleidigt, protestierte heftig, worauf sie ihm ungerührt die Handschellen anlegten. Zur selben Zeit sagte Héctor Salgado das Gleiche zu Sílvia Alemany, die zur Überraschung des Inspektors erhobenen Hauptes und ohne ein Wort aus ihrem Büro trat.
In zwei Polizeiwagen wurden die beiden zum Kommissariat gebracht. Am Eingang sahen sie sich kurz, hatten aber keine Gelegenheit, miteinander zu sprechen: er in Handschellen und fast ins Gebäude geschubst, sie an der Seite des Inspektors und würdig schreitend. Zwei verschiedene Vernehmungsräume erwarteten sie.
Erschrocken ist noch vorsichtig ausgedrückt, dachte Héctor, als er in einen der Räume trat, fest entschlossen, diesen allzu glatten jungen Mann zu knacken. Seit dem Nachmittag zuvor, als sie in dem Haus in Garrigàs waren, hatte er die Teile des Puzzles sortiert: die Hunde, die Fahrräder, der Spaten, das geänderte Verhalten der Teilnehmer, Amandas Schrecken an jenem Freitagabend. Und auch wenn er nicht mit Sicherheit wusste, wie die Dinge vonstattengegangen waren, hatte er doch ein vages Bild von dem, was zumindest hatte passiert sein können. Ein Bild, das ihm gar nicht gefiel.
Er setzte sich schweigend vor ihn an den Tisch, legte eine Mappe ab. Er wollte sie gerade öffnen, als Manel Caballero blaffte:
»Darf man wissen, was das soll? Warum zum Teufel haben Sie mich hierher gebracht?«
»Das wollte ich dir gerade erklären, keine Sorge.«
»Sie können die Leute nicht so behandeln! Mich täuschen Sie nicht, ich kenne meine Rechte!«
»Du hast zu viele Fernsehserien gesehen, Manel«, sagte Héctor und lächelte müde. »Aber wenn du schon so gut informiert bist über deine Rechte, fasse ich dir gerne die meinen zusammen. Du stehst in einem Fall von mehrfachem Mord unter Verdacht und bist hier, um vernommen zu werden.«
Manels Miene verriet die Überraschung, und Héctor fuhr fort:
»Ich kann dich nicht zum Sprechen zwingen, auch wenn es mir nichts ausmachen würde, das kannst du mir glauben. Sehr wohl aber kann ich dich zweiundsiebzig Stunden einsperren, damit du Zeit zum Nachdenken hast und dir klar wird, ob du mit uns zusammenarbeiten willst oder nicht.«
»Mich in Handschellen hierher zu schleifen ist nicht die beste Art, mich um Zusammenarbeit zu bitten, Herr Inspektor. Sagen Sie mir wenigstens, wovon Sie sprechen. Wenn Sie glauben, ich hätte Amanda oder Sara umgebracht, müssen Sie verrückt sein.«
Héctor lächelte wieder.
»Verrückte erfassen die Wahrheit manchmal intuitiv. Heißt es zumindest, noch nie gehört?« Und mit einem Wechsel im Tonfall fügte er hinzu: »Ich möchte nicht von Sara sprechen, auch nicht von Amanda. Nicht einmal von
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