Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
einem ausgeprägten Hang zur Selbstbeobachtung. Die Beziehung zu ihrem Exmann war eine durchaus herzliche, und in ihrem späteren Liebesleben, mit Carol Mestre, schien eskeine größeren Probleme gegeben zu haben als die üblichen Reibereien in einer Partnerschaft. Ruth hatte ganz offen akzeptiert, dass sie lesbisch war, oder bisexuell. Weder vor ihren Eltern noch vor ihrem Sohn hatte sie es zu verbergen versucht. Ihre Arbeit war zwar einträglich, hatte sie aber weder reich noch über die Branche hinaus bekannt gemacht. Sie arbeitete allein, nur die Vermarktung ihrer Kollektion betrieb sie zusammen mit ihrer Freundin und Geschäftspartnerin. Bei der Arbeit hatten sie sich auch ineinander verliebt.
Die Ermittlungen zu ihrem Verschwinden gelangten bald an einen toten Punkt. Sie wohnte in dem ehemaligen Industriegebiet von Poblenou, nicht weit von dem Haus entfernt, wo ihr Exmann weiterhin wohnt. Die Straßen dort sind an den Sommerwochenenden fast menschenleer, und die wenigen Nachbarn, die man befragte, trugen wenig Erhellendes bei.
Grundsätzlich gibt es, wenn auch als reine Annahme, zwei Möglichkeiten, die in Betracht zu ziehen sind:
1. Dr. Omar und sein Umfeld, einschließlich der Verwünschung, was immer das bedeutet.
2. Jemand, der Ruth nahestand, so unwahrscheinlich es sein mag. Ihr Exmann, ihre Freundin, ein/e Freund/in.
Leire seufzte. Bei diesem letzten Satz fühlte sie sich wie eine Verräterin. Sie schätzte Héctor Salgado sehr. Sie respektierte ihn als Chef, mochte ihn als Mensch, noch dazu sah er gut aus. Sie musste lächeln. Abel schien in ihrem Bauch zu protestieren, vielleicht wollte er ihr auch nur bedeuten, sie solle endlich ins Bett gehen. »Ich mach ja schon, Junge. Aber dass du es weißt: Wenn er nicht mein Chef gewesen wäre, wenn du nicht da wärst, wenn alles anders gekommen wäre, dann hätte Mama diesen Argentinier garantiert angebaggert.« Das Baby versetzte ihr noch einen Tritt, und Leirestrich sich über den Bauch. Am Anfang war es ihr zwar seltsam vorgekommen, aber jetzt fand sie es toll zu spüren, wie der Kleine sich bewegte. Es war der beste Beweis, dass er lebte.
Rasch schrieb sie weiter.
Wie immer gibt es eine dritte Möglichkeit. Ein Unbekannter. Eine Person, von der wir noch nichts wissen, jemand, der etwas gegen Ruth Valldaura gehabt haben könnte und der an jenem Freitag, bevor sie losging, bei ihr aufgetaucht ist. Jemand, den Ruth kannte und den sie in die Wohnung hereinließ, ohne etwas zu ahnen.
Dieser Mörder oder Entführer X hätte es dann ausgenutzt, dass alle Spuren auf Dr. Omar deuteten, und Zeit gehabt, seine eigenen zu verwischen.
Und das so gut, dachte Leire, bevor sie sich schlafen legte, dass ihn auch sechs Monate danach niemand aufgespürt hatte.
SARA
5
Sara Mahler. Während der endlosen Sitzung auf dem Kommissariat kam Héctor Salgado der Name wieder in den Sinn. Nicht die ganze Zeit, denn die Besprechung erforderte Konzentration, aber in Schüben schweiften seine Gedanken immer wieder zu der Frau, die in der Nacht auf Donnerstag vor die U-Bahn gesprungen war. Zu dem Foto in ihrem Pass, das er sich vor ein paar Stunden angesehen hatte. Sara Mahler war keine Schönheit. Blasser Teint, schmale Nase, kleine blaue Augen. Mitteleuropäische Gesichtszüge, denen nur die tiefschwarzen, offenbar gefärbten Haare widersprachen, was die weiße Haut noch betonte.
Als sie endlich fertig waren, war es schon fast sieben. Der Inspektor ging gleich zu Fort, den er seit dem Einsatz nicht mehr gesehen hatte. Der saß mit Martina Andreu zusammen.
»Wissen wir schon mehr über Sara Mahler? Hast du die Angehörigen erreicht?«
Fort hätte beinahe strammgestanden.
»Ja, Inspektor. Es hat mich fast den ganzen Freitag gekostet und einen Teil des Samstags, aber dann habe ich sie ausfindig gemacht. Ihr Vater ist heute Morgen aus Salzburg eingetroffen.« Er zögerte, bevor er, ein wenig geheimnisvoll, hinzufügte: »Ein merkwürdiger Mensch, um ehrlich zu sein. Ich habe mich kaum mit ihm verständigen können, er spricht nur deutsch, aber es war offensichtlich, dass er nicht sonderlich betroffen war. Wie es scheint, haben sie sich seit Jahren nicht gesehen. Sara ist 2004 nach Barcelona gekommen, und wenn ich richtig verstanden habe, war sie seither nur einmal in ihrer Heimat, im Jahr darauf. Und ihr Vater ist noch nie in Spanien gewesen, das jedenfalls hat er klar gesagt.«
Fort verschwieg, was der Dolmetscher ihm noch übersetzt hatte. Joseph Mahler wollte bei der
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