Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Die Frau zeigt sich unberührt von ihrer Umgebung. Jung, rein, zeitlos schön.
    »Das Schönheitsideal hat sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt.«
    Víctor Alemany spricht seinen zweiten Satz des Abends, eine Selbstverständlichkeit, die zumindest nicht politisch unkorrekt ist und den Auftakt gibt zur Projektion einer Reihe schöner weiblicher Gesichter. Sie erscheinen im Rhythmus eines Liedes, gehorchen aber keiner historischen Abfolge, so dass die klare, ruhige Büste der Nofretete abgelöst wird von dem geradezu wilden Gesicht einer jugendlichen Brigitte Bardot und eine Renaissance-Madonna von weichen Zügen Platz macht für eine auf verschlagene Weise attraktive Stiefmutter von Schneewittchen. Niemand weiß, wer die Auswahl getroffen hat, aber seine Vorliebe für blonde Frauen ist offensichtlich. Es ist fast eine Erlösung, als plötzlich das glänzende Ebenholzgesicht von Grace Jones erscheint, und erst in dem Moment erkennen die meisten der Anwesenden in ihr die tiefe Stimme im Hintergrund, »I’ve Seen That Face Before«. In rascher Folge schließen sich diesen extremen, androgynen Gesichtszügen Fotos unbekannter Frauen an, verschiedenen Alters und von ungleicher Schönheit.
    Kurz darauf endet die Vorführung, und zunächst sind die Leute unschlüssig, ob sie klatschen sollen oder nicht. Jemand fängt zaghaft an, und die anderen tun es ihm nach. Der Beifallsversuch wird jedoch von Víctor Alemany gestoppt, der, auch wenn er mit einem Kopfnicken für die Geste dankt, die rechte Hand hebt, wie ein Politiker, der weiß, dass das Beste noch kommt.
    »Seit vielen Jahren bieten wir Frauen die Möglichkeit, sich schön zu fühlen, die Illusion, die verlorene Jugend wiederzuerlangen. Und das für nicht allzu viel Geld. Unsere Marke war immer gleichbedeutend mit guter Qualität zum guten Preis. Genau dieses Konzept hat uns mehr als sechs Jahrzehnte getragen.«
    Es ist der Beginn der klassischen Rede, die alle am Anfang erwartet haben. Die zurückgeht zum Ursprung des Unternehmens. Er lässt das ausklingende Jahr Revue passieren: eine turbulente Zeit, eine Phase der Umstrukturierung, der Veränderung. Und auch wenn man über das Ergebnis nicht klagen kann, heißt es, härteren Zeiten ins Auge zu sehen. An dem Tisch, der Víctor Alemany am nächsten steht, kreuzen sich zwei Blicke. Amanda Bonet und Brais Arjona sind sich bewusst, dass sie Teil dieser Veränderung sind: neue Gesichter in einem Unternehmen mit einer Geschichte von mehr als einem halben Jahrhundert.
    Schwierigen Jahren, fährt Víctor Alemany fort, das ist niemandem entgangen, aber er ist sicher, dass sie vorbereitet sind für die neuen Herausforderungen. Das Unternehmen hat riskante Entscheidungen getroffen, ja, aber mit einem festen Ziel, einer Hoffnung. Die neue Linie ist bereits auf dem Markt. AK/Young. Ein anspruchsvoller Name, zunächst sehr umstritten und schließlich gutgeheißen von ganz oben. Ein Y als Logo, das nun an der Wand erscheint, kündigt den Beginn einer zweiten Vorführung an.
    Diejenigen, die mit Y direkt zu tun haben, wissen, was jetzt kommt. Der Werbeclip wurde im Frühsommer gedreht, alle sind leicht gebräunt, Alfred Santos erscheint als Erster im Bild und präsentiert die Pflegeserie: sanfte Cremes für junge Haut, ein Marktsegment, in dem Alemany Kosmetik sich bisher nicht hervorgetan hat. Für eine Haut, die keine straffenden Cremes benötigt, sondern eine, die die Leuchtkraft unterstützt. Außerdem, und Víctor Alemany weiß das am besten, reicht ihre Kundschaft über die angesprochene Zielgruppe hinaus, denn viele Frauen zwischen dreißig und fünfunddreißig fühlen sich noch genauso jung. Weshalb Brais Arjona als Gesicht der gesamten Kampagne Paula de la Fe ausgewählt hat, recht populär durch ihre Rolle einer Lehrerin in einer Fernsehserie, in der sie mit einem Schüler liiert ist. Paula ist neunundzwanzig, auch wenn sie im Fernsehen den Eindruck erweckt, sie komme frisch von der Uni. Nur hätten weder Brais noch sonst jemand aus dem Team je gedacht, dass ihr Chef mit Paula etwas anfangen würde, eine Beziehung, die der Marke einen unerwarteten und, in Sílvias Augen, etwas frivolen Ruhm verschaffte. Víctor hätte es gefallen, wenn Paula an diesem Abend an seiner Seite wäre, aber schließlich hat er sich Sílvias Ansicht zu eigen gemacht, »das ist ein Firmenessen«, er wollte mit seiner Schwester nicht streiten. Wozu auch.
    Der Clip geht weiter mit Amanda, die auch gut das Kampagnenmodel sein könnte, so wie sie