Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
recht nicht jemanden, den man seit mehr als sieben Jahren nicht gesehen hat. Aber er rief an, zum einen, weil er nicht glaubte, dass Lola nach all der Zeit noch dieselbe Nummer hatte, zum anderen, weil er gleich beim Anblick ihres Namens unter der Schlagzeile des Artikels Lust dazu verspürt hatte. Als eine müde Stimme antwortete, noch bettschwer, merkte er, dass er kaum wusste, was er ihr sagen sollte.
»Ja?«
»Lola?«
»Kommt drauf an, für wen.«
»Lola, habe ich dich geweckt?«
Stille. Sekunden, in denen Héctor sich vorstellte, wie sie im Bett lag, der Blick trübe vom unterbrochenen Schlaf.
»Héctor?« Auf einmal klang die Stimme hellwach.
»Genau der.«
»Scheiße. Ich verklage das Horoskop. Es hat mir eine ruhige Woche versprochen, ohne Überraschungen.«
Er lächelte.
»Da hat es ja fast ins Schwarze getroffen. Wir haben Freitag.« Die Pausen am Telefon waren fast so schlimm wie im Radio, dachte Héctor. Statische Nervosität. »Wie geht’s?«
Lola lachte laut, aber es klang eher sarkastisch, nicht amüsiert.
»Ich kann es kaum glauben.« Sie lachte wieder. »So vieleJahre Schweigen, und dann rufst du mich an einem Freitag im Januar um halb neun an, um mich zu fragen, wie es mir geht? Das ist wie in Sex and the City . Nur ohne Sex und in Carabanchel.«
Er wollte etwas sagen, doch sie kam ihm zuvor.
»Entschuldige, Héctor, aber ich glaube, ich brauche eine Dusche und einen Kaffee, ehe ich mit dir sprechen kann.«
»Keine Zigarette?«
»Ich rauche nicht mehr.«
»Verstehe. Dann frühstücke erst, ich ruf dich später an. Ich habe hier einen Fall, über den du vor ein paar Monaten geschrieben hast.« Er wartete darauf, dass sie fragte, um welchen Fall es gehe. »Gaspar Ródenas. Der Typ, der …«
»Der seine Frau und seine Tochter umgebracht und sich dann erschossen hat.«
»Könntest du mal einen Blick in deine Notizen werfen? Bitte.«
»Wenn du mich so nett fragst, nehme ich an, dass es wichtig ist.«
»Danke. Dann lass ich dich in Ruhe aufwachen. Lola …«, sagte er noch, »ich freue mich, mit dir zu sprechen.«
Er wusste nicht, ob sie es gehört hatte, denn die Verbindung war sofort unterbrochen, doch in seinem Gesicht musste ein dümmliches Lächeln geblieben sein, das auch Kommissar Savall sah, als der ihn Minuten später in sein Büro rief.
»Ausgerechnet heute so guter Laune, Héctor?«, grüßte er ihn.
»Na ja, es heißt, auch Totenköpfe lächeln. Und nicht eben, weil sie Anlass hätten, glücklich zu sein.«
Lluís Savall schaute ihn ein wenig ratlos an.
»Hör auf mit Totenköpfen und setz dich, Héctor. Und erzähl mir, was zum Teufel gestern mit Bellver los war.« Sein Ton verhieß nichts Gutes.
Irgendetwas an dieser Frau kam ihm nicht geheuer vor, auch wenn er es nicht genauer hätte beschreiben können. Zwar hatte Sílvia Alemany sich bisher so liebenswürdig wie zupackend gezeigt und ohne zu zögern auf alle Fragen geantwortet, doch Héctor Salgado wurde das irritierende Gefühl nicht los, er erlebe eine allzu forcierte Vorstellung. Nach so vielen Jahren im Dienst hatte er sich daran gewöhnt. Auch war er grundsätzlich der Überzeugung, dass alle Welt mal mehr, mal weniger log. Sich selbst oder seine Umgebung zu täuschen war eine so natürliche Regung wie zu atmen, nur die wenigsten ertrugen ein hartes, aufrichtiges Urteil über sich selbst oder ihre Liebsten.
Seit einer halben Stunde war er nun bei Alemany Kosmetik. Er hatte Fort mitgenommen, den er gleich losschickte, sich in der Firma umzusehen, mit bewusst uneindeutigen Anweisungen, aber einem klaren Ziel: die Stimmung zu sondieren und diesem Unternehmen auf den Zahn zu fühlen, das Kosmetikartikel herstellte und, dem detaillierten Bericht seines Untergebenen zufolge, in den vierziger Jahren gegründet worden war und sich seither gehalten hatte, ohne große Erfolge, aber auch ohne ernsthafte Probleme. Erst in den letzten zehn Jahren war es gelungen, sich von der Konkurrenz abzusetzen, dank AK/Slim, einer Creme, die unter den Damen und Herren mit ein paar Kilo Übergewicht der Hit gewesen war. Darauf hatte die Firma ihren Ehrgeiz und ihr Angebot ausgeweitet, und AK war nicht länger eine Marke mit Billig-Image aus dem Supermarktregal, sondern ein paar Plätze aufgestiegen auf dem Weg zum Olymp der künstlichen Schönheit. Ende des letzten Jahres hatte das Unternehmen eine Pflegeserie auf den Markt gebracht, die sich an jüngere Frauen richtete, Young, von der Héctor noch nie gehört hatte, auf die das
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