Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
etwas ist, ein Eheproblem, von dem wir nichts wissen.« Zu Sara hatte Saúl eine gewisse Abneigung nicht verbergen können, eine Reaktion, die das arme Mädchen offenbar bei den meisten hervorrief. »Aber das bedeutet nichts, Herr Inspektor. Und an Depressionen habe ich nie geglaubt, nur dass sie irgendwie nicht zu uns passte.«
Die Führung war so uninteressant wie erwartet. An Saúl Duques Seite lernte er Brais Arjona und Amanda Bonet kennen, und beide bestätigten Sílvia Alemanys Version. Héctor machte sich nicht einmal die Mühe, mit den anderen zu sprechen, sicher hätten Manel Caballero und César Calvo das Gleiche gesagt. Den vielleicht einzigen Treffer landete er, als er Amanda beiläufig fragte, ob sie mit Sara Mahler näher befreundet gewesen sei. Das Mädchen war rot geworden, was angesichts der Polizei im Raum Schüchternheit sein mochte, Héctor aber übertrieben vorkam, und dann sagte sie, sie sei nur ein einziges Mal bei ihr gewesen, auf einen Kaffee. Alles so dermaßen nachvollziehbar, alles so stinknormal. Sie waren noch skeptischer zum Kommissariat zurückgekommen, als sie losgezogen waren. Nur eine Frage blieb. Wer war der vermeintliche Freund von Sara? Wenn es ihn denn gab, woran selbst Héctor zu zweifeln begann …
Héctor drehte um, als ein Blitz ihm anzeigte, dass er sein Ziel erreicht hatte. Fehlte noch das schwerste Stück: der Rückweg, jeden Meter noch einmal in die andere Richtung. Und bei dem Gedanken an ein Zurück hatte er gleich Lolas Bild vor Augen. Er hatte sie noch nicht wieder angerufen, aber das würde er, später, erst einmal galt es schneller zu laufen, all seine Kräfte zu mobilisieren, um vor dem Regen zu fliehen, den Erinnerungen. Um vor dem hilflosen Gesicht von Ruth zu fliehen, als er ihr gestand, was da vor sich ging. Und vor allem, um vor dem bitteren Moment zu fliehen, als er beschloss, Lola nie wiederzusehen.
23
Es war schon nach fünf Uhr in der Frühe, als César an diesem Sonntag unter ein kühles Laken schlüpfte, in eine anklägerische Kuhle, in das Bett, in dem Sílvia allein schlief, ohne es auch nur zu merken.
Der Samstag war ein bleierner, verregneter Tag gewesen, grau wie der Winter in Berlin und passend zu Sílvias Stimmung. César hatte noch nie mit Menschen umgehen können, die krank waren, und wenn es ihm selber nicht gutging, sah er es lieber, dass man ihn in Ruhe ließ. Deshalb hatte er Sílvia, als die sich nicht mit ihm unterhalten mochte und meinte, sie bekomme eine Grippe, auch nur einen Kuss auf die merkwürdig kalte Stirn gegeben und ihr geraten, sich hinzulegen. Kein Wunder, dass sie krank wurde, zu groß war die Anspannung der letzten Tage gewesen. Und seiner Rolle treu, zumal er ohnehin nichts Besseres zu tun hatte, war er den ganzen Nachmittag bei ihr zu Hause geblieben, hatte vor dem Fernseher gedöst, hatte versucht, sich diesen Raum zu eigen zu machen, der in ein paar Monaten auch sein Zuhause wäre. Sie waren allein: Pol war zu einem Klassenkameraden gegangen, und auch Emma war, wie es aussah, bei einer Freundin und lernte. César fragte nie nach ihnen, und er war froh, das Wohnzimmer für sich zu haben. Am späteren Nachmittag stand Sílvia auf, auch wenn es ihr noch nicht besser ging. Im Gegenteil, die Stunden im Bett hatten sie wie betäubt, dazu kam eine heftige Migräne. Nie wäre ihm der Gedanke gekommen, dass hinter den Symptomen etwas anderes steckte: ihr Ärger über das Gespräch mit Víctor.
Sílvia hatte sich hingelegt, weil sie das Gefühl hatte, sie verliere die Kontrolle über ihre Welt. Sie musste sich zurückziehen in diesen intimen, persönlichen Raum, der ihr Schlafzimmer war, ihr Bett. Musste sich ans Kopfkissen klammern und die Augen schließen, um wenigstens für ein paar Stunden zu vergessen, dass ihr Leben schon bald nicht mehr dasselbe wäre. Sie fühlte sich verraten und verkauft, von Víctor und mehr noch von Octavi Pujades, der, ein Judas in Schlips und Kragen, bei den Plänen ihres Bruders mitgemacht und sie vor ihr geheim gehalten hatte. Sie hätte sich César anvertrauen können, aber es war ihr peinlich; sie wollte nicht diese übertölpelte Frau sein, diese Verliererin, ignoriert von den wirklich Mächtigen. Natürlich würde sie ihren Job behalten dürfen. Víctor hatte ihr wortreich erklärt, wie viel sie ihm bedeute, aber beide kannten die Wahrheit: Die Funktionen, die Sílvia im Unternehmen ausübte, gingen über das, was ihr aufgrund ihrer Stellung zukam, weit hinaus, und ihre Macht beruhte so
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