Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman
NACHDENKEN SOLL! ICH BIN KEIN KLEINES KIND MEHR! Was weißt du schon?! Dir tut nichts weh!
Ich gebe zu, sagte Darius Kopp, ich weiß wenig darüber, wie es ist, wenn einem immer etwas wehtut, obwohl ich, wie du vielleicht noch weißt, selbst an einer chronischen Krankheit leide, und Atemnot ist auch nicht gerade ein Traum …
Sie werden sie mir sowieso irgendwann ganz abschneiden, aber nicht auf einmal, sondern scheibchenweise, glaubst du, das weiß ich nicht, bei der Schreibern - (Wer oder was ist die Schreibern ?) - war das auch so, erst der Zeh, dann der Fuß, das Knie, bis zur Hüfte, kapierst du, sie haben ihr die Hüfte entfernt, und dann ist sie doch krepiert!
Das wird dir nicht …
WOHER WILLST DU DAS WISSEN, SCHLAUMEIER?!
Kopp sah zu der anderen Patientin, die nicht mehr so tat, als
sähe sie nichts, und auch er tat nicht mehr so, sondern sah sie, im Gegenteil, um Hilfe suchend an. Die Patientin zeigte ihm ihren Schwesternrufknopf, Kopp nickte, so heimlich er konnte. Während er psalmodierte:
Das ist hier ein gutes Krankenhaus … (Woher willst du das wissen?) … Sie werden alles tun … (Floskel) … was in ihrer Macht steht … (Floskel) … beruhige dich … (…) … eine Oberschenkelamputation auf Wunsch, das ist absolut verrückt, das macht keiner, das weiß ich, dazu muss man kein Genie sein …
WAS WILLST DU DANN HIER?!
BRÜLL MICH GEFÄLLIGST NICHT IMMER SO AN!
Hier kam die Schwester herein. Gleichzeitig fing Kopps Handy zu bimmeln an. Und er, automatisch: Einen Moment …
Die Schwester: Hier darf man nicht mobiltelefonieren. Unten im Foyer …
Meine Mutter ist die Patientin! sagte Kopp, zeigte auf sie, und verließ den Raum.
Er ging den Korridor hinunter, schnellen Schritts, als hätte er ein Ziel, das Bimmeln neben sich. Später hörte es auf zu bimmeln, Kopp ging immer noch weiter, bis der Korridor zu Ende war, beziehungsweise abbog, links oder rechts, egal, Hauptsache, man hätte, sollte man sich zufällig umdrehen müssen, nicht einmal mehr Sichtkontakt zur Tür von Zimmer 71. Er bog ab, ging weiter, bis er an eine Ausbuchtung mit Feuerlöscher und Sitzgruppe kam. Alte Sessel, als wären sie von ich weiß nicht wann hier zurückgeblieben, der Feuerlöscher dagegen sehr neu, glänzend, rot, tröstlich. Hier konnte Kopp stehen bleiben. Eine Weile. Bis wir wissen, wie weiter. Denn im Moment war er verwirrt und hilflos, und es war ihm auch wieder schwindlig. Bin ich unterzuckert? Überzuckert? Wann habe ich
das letzte Mal etwas gegessen? Da, der Fleck auf deinem Hemd. Das war das Letzte. Oder ist das zusammengezurrte Loch in meiner Brust schuld? Um was für eine Art zusammengezurrtes Loch handelt es sich? Wir sind hier in einem Krankenhaus. Man könnte es feststellen lassen. Hier können Medikamente verabreicht werden. Aber dafür müsste man in die Notaufnahme. In der Notaufnahme werden die Fälle nach Dringlichkeit behandelt. Solange Sie noch atmen können, üben Sie sich in Geduld.
Hier fiel ihm alles wieder ein und er wurde wütend.
Ich fasse es nicht, ich fasse es einfach nicht! Erzähl mir nicht, Marlene, dass du den Unterschied nicht mitbekommen hast. Ob sich einer in seinem spinnerten Hirn wünscht, keine Beine mehr zu haben, oder ob er … Ihr würdet verdienen, dass ich einfach wieder abfahre. Dass ich einfach … Aber der Laptop ist da drin! Bei ihr! Ich habe den Laptop drinnen gelassen!
Der Ärger, die Ohnmacht waren plötzlich so heftig, dass er die Hand zur Faust ballen musste. Andere sind in einer ähnlichen Situation fähig, und schlagen Löcher in Trockenbauwände. So etwas hat mir meine Erziehung ausgetrieben. Stattdessen ballt Darius Kopp in Situationen höchster Ohnmacht die Faust nur, um etwas zu haben, in das er sich verbeißen kann. Auf einem Krankenhausflur, in der Nähe eines Feuerlöschers, wie ein Löwe grollend, biss er sich in die eigene Faust, er seine eigene Beute.
Und während er es noch tat, sah er sich schon um: Sieht mich einer?
Sieht nicht so aus.
Hier meldete die Handymailbox, dass eine Nachricht da war.
Danke.
Kopp ließ von sich ab. Das trockene kleine Knallgeräusch, wenn die Zähne sich von der Haut lösen.
Die Liste der Anrufe zeigte eine Nummer mit Auslandsvorwahl +33 an. Wer ruft mich aus +33 an?
Nein, man kann nicht einfach so gehen. Aber die Nachricht kann ich abhören. Dazu fahre ich ordnungsgemäß hinunter ins Foyer. Ich nehme mir die Zeit. Du strafst mich, ich strafe dich.
Im Fahrstuhl waren schon welche, zwei sehr
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