Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman
mehr. Sie hat mich in den Wahnsinn getrieben. Alles, was sie zu mir sagt, verletzt mich. Und auch, wenn sie nichts sagt. Hoffentlich schmort sie dafür in der Hölle. Auf der anderen Seite, das tut sie ja schon. Und davon unabhängig liebe ich sie. Sie ist meine Mama. Ich will nicht, dass sie stirbt. Wenn sie stirbt, habe ich sie für immer verloren. Ich dachte, wenn sie eine Narkose bekommt, stirbt sie bestimmt. Ich konnte nicht anders, ich habe mich auf sie gestürzt, ihren Körper unter der Decke zu spüren hat mich fast umgebracht, so GUT war das, aber sie hat mit den Händen auf die Matratze neben sich geschlagen, sie hätte auch mich schlagen können, aber das wollte sie nicht, sie schlug auf die Matratze: Du erdrückst mich, du erdrückst mich! Ich bin wieder hoch und
wollte ihre Hand nehmen, aber sie heulte nur: Wo ist Darius?! Wo ist mein Sohn? Wieso kommt mein Sohn nicht? Mein einziger Sohn! Wieso lässt du mich allein? Und ich, als hätte ich Eiswasser getrunken, mir wurde ganz kalt innerlich, ich bin aufgesprungen …
Sie ließ ihn los und sagte statt all dem:
Lass uns erst einen Kaffee trinken. Unten ist so ein Laden.
Sie öffnete die Glastür für ihn, er folgte ihr.
Während sie durchs Foyer gingen, Marlene:
Ich hab Vattern angerufen.
...
Er ist bei Dubrovnik.
Er macht Urlaub. Er war grad in irgendeinem Hafen, es war windig, er musste sich ständig aus dem Wind drehen.
...
Ich hab ihm erzählt, dass Mutter im Krankenhaus ist. Er hat gesagt: Aha. Und dass das Roaming teuer wird.
Er ist ihr Ex mann.
(Und deswegen auch mein Ex vater?
Du liegst nicht im Krankenhaus.)
Sie bestellten je einen Milchkaffee. An der Theke, damit es schneller ging, dort blieben sie auch stehen. Marlene spielte mit der Serviette, die zwischen Tasse und Untertasse lag. So eine dünne, nichts werte Serviette, die du zwischen zwei Fingern zerzwirbeln kannst. Künstliche Fingernägel, schon etwas abgenutzt. Die Lider hielt sie gesenkt, Kopp sah einen schwarzen Lidstrich. Ihre Augenbrauen sind fast so dünn gezupft wie bei einem Stummfilmstar und schwarz gefärbt, wie die Wimpern und das Haar. Eigentlich wäre sie blond wie er. Aber sie zieht es vor, so zu tun, als wäre sie eine kleine Schwarzhaarige mit blasser Haut und stahlblauen Augen. Auf den Wangenknochen
zwei Kleckse künstliches Rot, auf den dünnen Lippen glitzerndes Lipgloss. Apricot. Ist meine Schwester eine schöne Frau? Wäre sie es?
Sie schlug die Augen auf und sah ihm direkt ins Gesicht. Meine Schwester hat einen Blick, der gleichzeitig abwesend und intensiv fordernd ist.
Ich bin zu Hause ausgezogen. Sie haben mich einfach nicht lernen lassen. Mach nur, mach nur, aber dann rennen sie 26mal durch dich durch, mach nur weiter, ich hol nur dies oder das, oder wo ist dies oder das, oder bleiben in der Tür stehen und fragen: Krieg ich was zu essen? Am Ende hab ich nur noch geheult und mich unterm Tisch versteckt. Dann kam Daggi und sagte, das kannst du nicht machen. Jetzt wohn ich so lange bei ihr.
...
Die erste Prüfung ist am Freitag.
...
Kann sein, dass sie sie grad am Freitag rauslassen wollen.
...
Kannst du vielleicht auch mal was sagen?! Wie wär’s mal mit: Mach dir keine Sorgen, mach du nur deinen Kram, ich komm dann her und hol sie ab?!
Mach dir keine Sorgen, mach du nur deinen Kram, ich komm dann her und hol sie ab. Obwohl ich kein Auto habe. Aber ich komm her. Zufrieden?
Wieso muss ich darum bitten?
Du hast ja nicht darum gebeten.
Wieso muss ich danach fragen? Wie komm ich mir dabei vor? Wie eine … ich weiß auch nicht was.
Kopp kennt diese Diskussion schon zu gut, seine Aufmerksamkeit schweifte ab. Er fing an, das Telefonat mit Stavridis auszuwerten. Dachte an Paris und an Hongkong, an Aris, an
Bernard, an KenLin, an David Chan, an Daniel King, an Sunnyvale, an Bill … Wie spät ist es? Wie spät ist es in Hongkong, wie spät ist es in Sunnyvale?
Hörst du mir zu?
Ja. Du kümmerst dich, ich kümmere mich nicht, trotzdem werde ich mehr geliebt, ich bin der einzige Sohn, tut mir leid (Er kontrollierte die Uhrzeit auf seinem Handy), dafür kann ich nichts, außerdem stimmt es nicht. Die Frau hat einen Schuss, so sieht es aus, was wir auch immer machen, was du auch immer machst, was ich auch immer mache, es wird falsch sein. Und deswegen werde er jetzt hochgehen und sich von ihr verabschieden und seinen Laptopkoffer holen, der da noch steht, und dann werde er zurückfahren, denn er habe zu tun, denn, weißt du, nur weil ein neues
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