Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman

Titel: Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand

Vom Netzwerk:

verwechselst du mich mit deinem Vater. 3-4 Tassen am Tag, das wird mir ja wohl noch erlaubt sein!
    Keine Ahnung. Ist es dir erlaubt?
    WAS WEISS DENN ICH?!
    Im Zimmer waren noch zwei andere Betten. Eins war mit einer anderen alten Frau belegt. Wir haben sie bis jetzt ignoriert, bei uns in der Familie wird gedacht, das sei so angemessen, schlimm genug, dass wir hier zusammen sein müssen - mit unseren Körpern . Jetzt sah sie herüber. Schauen Sie gefälligst weg!

    Scht, Mutter, brüll nicht so, das ist ein Krankenhaus!
    Ich weiß, dass das ein Krankenhaus ist, denkst du, ich bin blöd?
    Nein, aber …
    Weißt du, wie weh so eine Nadel tut, weißt du, wie weh es tut, wenn der Schlauch geknickt wird, wenn ich mich auch nur einen Millimeter bewege, und dann tun sie’s mir auch noch in die rechte Hand, wo ich Rechtshänderin bin, ich kann nicht einmal Kreuzworträtsel lösen, ich hab genug davon, ich will, dass das ein Ende hat, verstehst du, ein für alle Mal, ich hab keine Lust mehr, weißt du, seit wie lange ich keine Lust mehr habe, einen feuchten Kehricht weißt du, Herr Diplomingenieur!
    Um Entschuldigung bittender Blick hinüber zum anderen Bett. Die Dame war so nett, nicht herzuschauen. Sie löst Kreuzworträtsel, ach, herrje!
    Was hat das mit Herr Dipl …?
    Sie, winselnd-flüsternd: Es war alles gut. Endlich war alles gut.
    Was? Was murmelst du da?
    Es war vorbei.
    Was war vorbei?! Mutter! Hallo?! Was murmelst du da? Rede bitte anständig mit mir, hörst du?
    Woraufhin sie nicht anständig redete, sondern zu schluchzen anfing, ihre Rede wurde noch undeutlicher, als hätte sie Brei im Mund (Rotz und Wasser?), gleichzeitig ging draußen auf dem Flur eine Maschine an, was für eine Maschine?, in einem Krankenhaus?, eine Baumaschine, wie sich herausstellte, und nicht auf dem Flur, sondern draußen, unter dem Fenster, es wurde also alles plötzlich undeutlich, auf der anderen Seite war das Wesentliche dennoch zu verstehen, dafür reichen wenige Brocken. Greta hatte geträumt …

    Du hast geträumt?
    Ja, sie hatte geträumt, dass sie durch ein Weizenfeld glitt.
    Ein Weizenfeld.
    Ja, auf einem Feldweg. Die Sonne schien. Sie hatte ihre Freundinnen dabei.
    Welche Freundinnen?
    Teils erinnerten sie sie an die Freundinnen, die sie als junges Mädchen hatte, denn sie hatte welche, das weißt du bloß nicht, du denkst, deine Mutter ist schon als alte, einsame Frau zur Welt gekommen, aber sie wusste gleichzeitig, dass sie sie erst nach ihrer Amputation kennengelernt hatte. Denn irgendwann wusste sie, dass sie im Rollstuhl saß, dass sie deswegen so glitt, und dass sie deswegen keine Schmerzen mehr hatte, weil sie untenherum amputiert war. Es war so schön, im Traum, es war alles gut, sie hatte keine Beine mehr, aber Freundinnen, sie wechseln sich ab beim Kochen, weil sie das Kochen auch hassen, aber sie hassen auch den Fraß, den man in Gaststätten bekommt, und wenn man sich abwechselt, ist nicht immer nur eine damit belastet - und man hat trotzdem Hausmannskost. Greta will diese Beine nicht mehr, das ist die Lösung, es war so schön, es war so schön im Traum.
    Es war was? Du hast was?
    ...
    Zuerst, für die ersten paar Sekunden war Darius Kopp außerstande, zu begreifen, was sie da sagte. Dann begriff er es, natürlich, man kann sich nicht ewig wehren, und das war zugleich auch der Punkt, an dem er deutlich spürte, wie etwas von innen gegen seine Schläfe prallte: die Wut. Dafür habt ihr mich hergeholt? Ihr elenden, gottverdammten, hysterischen Weiber?
    Sag mal, spinnst du? Du spinnst! Das ist doch vollkommener … Wegen eines Traums …?! Natürlich war es schön! Es war ja auch ein Traum! Du hättest auch fliegen können, wenn
du nur gewollt hättest! Jetzt hör auf. Wirklich. So was ist kein Spaß.
    Sie zuckte im Schluchzen mit den Achseln.
    Zuck nicht mit den Achseln!
    Die andere Patientin sah wieder herüber. Jetzt brülle auch ich herum. Was wird sie von uns denken. Während Greta schluchzte.
    Ein Großteil der Wut war hier schon verraucht, es war nur noch etwas Gereiztheit da, Bedauern und Ohnmacht. Man müsste sie anfassen. Ihr eine Hand auf die Schulter, um die Schulter, auf den Kopf, auf den Arm legen. Sie umarmen. Mütterchen. Weine nicht. - Aber nach außen hin wurde Kopp noch ein wenig bestimmter.
    Weißt du, wie dick so ein Oberschenkelknochen ist, weißt du, was das für eine Wundfläche ist, denk mal nach!
    Außer sich brüllend: SAG MIR NICHT, DASS ICH NACHDENKEN SOLL! SAG MIR NICHT, DASS ICH