Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman
Diesen ganzen privaten Kram. - Sie werden wieder anrufen. Und bis dahin kann ich sowieso nichts ausrichten. Sie fällen die Entscheidungen. - Weg damit. Schublade, Müllsack, Keller, Boden, wie du willst. Das ist nicht typisch männlicher Egoismus und Hartherzigkeit, das ist notwendig , Marlene (Mutter, Flora). Wie viel Prozent der Arbeitszeit geht durch die Beschäftigung der Mitarbeiter mit privaten Problemen verloren? Ich will nicht darauf herumreiten. Wir sind alle nur Menschen. Aber wer etwas bewerkstelligen will, muss lernen, anderes beiseite zu lassen. Während er durch das Autofenster auf eine Stadt blickt, die er kennt, wenn er sie auch nicht so kennt, in 20 Jahren wird vieles anders, und darin liegt die Lösung. Darius Kopp konzentrierte sich auf die Unterschiede, auf das andere , so lange, bis er das Gefühl hatte, nicht mehr hier, sondern bereits woanders zu sein, wo man ganz und gar fremd, also frei wäre.
Er hatte noch genau so viel Bargeld, dass er das Taxi bezahlen konnte. (Ich schulde den Armeniern, nein, der Firma 50 Euro!) Er ging bis zur Mitte des neu und schön gepflasterten, aber etwas zu weitläufigen und deswegen trostlos wirkenden Bahnhofsvorplatzes und blieb stehen. Die Uhr im Giebel des Bahnhofsgebäudes zeigte 18:29. Kopp sah ihr dabei zu. Nicht, weil er keine andere Möglichkeit gehabt hätte, die Uhrzeit festzustellen, sondern weil - Keller, Boden hin oder her - plötzlich doch die Kraft aus ihm gewichen war. Ich stehe nicht deswegen in der Mitte, weil ich mich hier am wohlsten fühle, sondern weil mir die Kraft fehlt, an den Rand zu gelangen. Ist auch nicht sehr einladend dort. Dieses Bahnhofsgebäude, das aktuell gar keins ist, stattdessen ein Irrgarten aus Bautunneln, überall herausziehendem Staub, provisorischen Aufschriften und infernalischem Lärm. Und kein Platz für einen Menschen, um in Würde zu warten. Höchstens im Stehen. Darius Kopp spürte deutlich, dass er die etwas mehr als halbe Stunde, die es noch zu überbrücken galt, bis der nächste Zug fuhr, nicht mehr würde stehen können. Am liebsten würde ich mich auf der Stelle zusammenrollen und schlafen. Mann im Anzug in der Mitte des Bahnhofsvorplatzes schlafend, den Kopf auf sein silbernes Köfferchen gelegt? Sei nicht albern. Für eine Weile war er ratlos. Stand einfach nur da, bis … 18:29. … … Endlich begriff er: Die Uhr im Giebel stand . Das brachte ihn wieder zu sich. Der Ärger. Eine Bahnhofsuhr! Wie kann eine Bahnhofsuhr stehen?! Ihr elenden Dilettanten?! Quasi als Antwort wurde Kopp von einem Lufthauch angeblasen, der so eisig kalt war wie im tiefsten Winter. Die Baustelle. Sie graben tief, da ist es kalt, eine Plane wird aus irgendeinem Grund gelupft und es kommt diese unterirdische Kälte heraus. Wer ist auf die verrückte Idee gekommen, in der Hölle wäre es heiß?
Kopp sah auf sein Handy, um zu sehen, wie spät es wirklich
war. Er sah: 18:38. Und er sah ebenfalls, dass er in einem Hotspot stand.
In einem Hotspot zu sein hat Darius Kopp bislang noch aus jedem Tief geholt. So auch diesmal. Er hob den Kopf, steckte ihn heraus , als stünde er wahrhaftig in einem Loch, und sah sich um:
Schön gepflasterter, öder Platz, ästhetisch eingelassene, kreuzgefährliche Straßenbahnschienen, Menschen hin und her, vor, hinter zwei Straßenbahnen über Kreuz, die hohe Kunst der Weichenstellung, elektronische Anzeigetafeln, noch 19 Minuten, noch 9, noch 0 … Da sah er das Café. Es hieß Flair. Neben dem Hotspot-Zeichen verschönerten aus grauer Fensterfolie schematisch geschnitten eine dampfende Kaffeetasse und ein Hörnchen seine Auslage. Darius Kopp rannte drauf zu.
Er rannte ins Café hinein, Selbstbedienung, er rannte an den Tischen vorbei, direkt an die Theke, wie ist er auf den Barhocker gekommen, keine Erinnerung, auf einmal saß er drauf. Er keuchte, nicht vor Anstrengung, sondern vor Erleichterung darüber, dass er diesen Hafen gefunden hatte.
Essen, Trinken, Internet. Das mich nährt, informiert, amüsiert und mir dabei nur so weit zu Leibe rückt, wie es Zahlen und Bilder eben können. Wo es möglich ist, sich zu erholen. Da kann rundherum (fast) sein, was will, aber wenn es so ein schönes Café ist, umso besser. Klimaanlage (im Winter: Heizung) ist schön, Zugang zu einer sauberen Wassertoilette ist schön. Die Barhocker, das kaffeebraune Leder(imitat?) der Sitzflächen, die langstieligen Kaffeelöffel sind schön. Die Vitrine, darin die Sandwiches und Kuchen. Die kleinen Rührstäbchen,
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