Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman
Sandkasten.
Danke, liebe Flora, dass du die aus Gabys Haus mitgenommene muffig riechende Decke nicht unmittelbar neben der ihren ausgebreitet hast.
Endlich las sie das Stück. Kopp tat wieder nichts. Das heißt:
er beobachtete die anderen, die Leute. Er tat das durch einen schmalen Spalt, zu dem er seine Lider niedergelassen hatte. Wasser, Bäume, Himmel und dann wieder die anderen, aber all das unaufmerksam. Sobald er etwas, das da war, das geschah, gesehen hatte, vergaß er es sofort wieder. Auch die Ökos war er außerstande wiederzufinden. War es dieses blonde Kind oder jenes? Flora las. Auch er hätte jetzt gerne etwas gemacht. Ein wenig Surfen. Aber hier wäre es sinnlos. Bevor sie losfuhren, versteckte er noch den Laptop. Ins Auto einschließen oder ins Bett legen? Er entschied sich fürs Bett und legte Floras (!) Handy als Köder auf den Küchentisch.
Ja, ich bin wirklich ein wenig irre. Mein Portemonnaie zum Beispiel liegt keine zwei Schritte daneben. Das hab ich nicht versteckt. Den Autoschlüssel auch nicht. Er ärgerte sich über so viel chaotisches und irrationales Verhalten. Da fiel ihm das Geld der Armenier ein.
War es chaotisch und irrational, es zwischen die anderen Kartons zu stecken?
Nein, das war gut.
Der Gedanke daran, dass irgendwo, an einem Ort, zu dem er Zugang hatte, Bargeld lag, selbst wenn es nicht seins war, bescherte ihm ein Gefühl der Zufriedenheit. Er grinste.
Um das Gefühl zu vervollständigen, hätte er jetzt gerne noch jemandem darüber erzählt. Aber wer kam in Frage? Flora wusste es schon, und alle anderen waren unerreichbar.
Wie spät ist es? Laut Handy: um 2. An der Westküste um 5 Uhr morgens. Bill schläft noch. Schätzungsweise bis um 7. Dann geht er joggen, frühstückt, holt seine Kinder ab. Oder er hat sie schon Freitagabend abgeholt. Zum Frühstück kommt die Freundin dazu. Später picken sie Kopp an seinem Hotel auf und man fährt gemeinsam zum Baker Beach. Der Wind ist kräftig, das Wasser ist kalt, aber man hat einen Blick auf
die Golden Gate Bridge, was für das meiste entschädigt. Zum Essen hat man selbst gemachte Sandwichs mit Hühnerfleisch und Salat dabei. Die Tochter ist schon 15 und hat große Brüste. War sich zunächst unschlüssig, ob sie mitkommen sollte. Dann kam sie mit, weil ihr berichtet wurde, Kopp sei aus Europa. Sie fragt ihn nach Paris, London und Berlin. Man unterhält sich angenehm mit ihr. Ihr Name ist Deirdra. Der Junge ist erst 10, noch ein kleines Kind und eifersüchtig. Keiner spielt mit ihm. Dann spielt Bill, später Deirdra mit ihm. Seinen Namen hat Kopp vergessen. Das war vor gut einem Jahr. Die Tochter ist also schon 16. Zum Abendessen gab’s Hühnerschenkel, Kartoffelecken, Salat, Wein. Bill kopierte für Kopp eine CD mit altem Soul, die ihm so gut gefallen hatte.
Es war sogar ein wenig Netz da, aber Kopp rief Bill nicht an und auch niemanden sonst, aber er vertrieb sich die Zeit damit, durch seine Datenbank zu blättern. Wen haben wir noch in derselben Untergruppe? Natürlich alle von der Firma, inklusive inzwischen Ehemaliger, aber nirgendwo sonst steht eine private Mobilnummer dabei. Hätte ich einen Internetzugang, könnte ich jetzt nachgucken, was Ken heute macht oder Vicky. (Und dann? Und dann wüsste ich es. Oder ich wüsste es nicht, weil ich sie nicht wiederfände, dann wäre eben das die Lehre aus der Geschichte.)
Was machst du da? Das Gepiepe nervt.
Entschuldige.
Er schaltete die Tastentöne aus, sah sich dann aber die Kontakte nicht weiter an. Er sah in den Baum über sich. Eine Eiche. Ich weiß noch nicht einmal, wie das Kaff hier heißt. Eine Beachparty. Oje. Während es in meinem Inneren licht und weit ist, wie am Strand von San Francisco. Armenien, das ist eine ganz andere alte Kulturlandschaft zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer. Die Berge sind gewiss atemberaubend.
Leider können wir das nicht aus erster Hand bestätigen, denn schließlich sind wir nicht hingefahren. Hat sich nicht ergeben. Unsere Kenntnisse stammen aus dem Internet und anderen Medien. Die Stadt Saitakan hat ca. 100 000 Einwohner, das Klima ist kontinental, der Boden fruchtbar, die Umgebung malerisch. Saitakan liegt in einem lieblichen Talkessel, die Topologie ist für das Errichten eines drahtlosen Netzes ideal, mit freien Luftlinien von mehreren Kilometern Länge. Die Brüder Bedrossian, Badrig und Barsam, sind hier geboren und fühlen sich bis heute, da sie in der Schweiz leben, mit der Stadt verbunden. Sie engagieren sich
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