Der einzige Sieg
Kopf schnell nach. In einem Monat gut zwölfhundert Tonnen, in einem Jahr etwa fünfzehntausend Tonnen. Ein einziger Ort in Libyen namens Rabta sollte es also schaffen, in einem einzigen Jahr mehr Chemiewaffen zu produzieren, als die Sowjetunion beispielsweise an Vorräten besaß?
Moammar Ghaddafis baldige Absetzung von der Macht wurde eingehend geschildert. Dies wurde unter anderem damit erklärt, daß sein starker Mann Dschallud einem anderen »Stamm« angehöre als er selbst, und überdies hätten »Quellen bei der CIA« beobachten können, daß immer mehr libysche Staatsbeamte in die Schweiz eilten, um dort Geld zu deponieren, weil sie den baldigen Untergang Libyens erwarteten.
Und dann ein altgewohntes Bild: Immer neue Bilder von F- 18-Tomcats, die von Flugzeugträgern aus starteten, ferner die Mitteilung, die USA hätten gegenwärtig vierzehn Schiffe in die libysche Mittelmeerregion beordert sowie eine unbekannte Zahl von U-Booten.
Die Kriegstrommeln im Weißen Haus ließen sich jetzt auch in der Presse der freien Welt vernehmen; man war also dabei, eine denkbare Eskalation bis hin zum Krieg vorzubereiten. Carl grübelte über die Absichten der Amerikaner nach und darüber, wie unter den fünf oder sechs Personen argumentiert worden war, zu denen auch Colin Powell gehörte. Vermutlich lag allem eine Theorie zugrunde, daß man mehrere gleichzeitige »Optionen« aufbauen müsse, um eventuell und mit etwas Glück einen geeigneten Kriegsgrund zu finden. Wenn Libyen sich beispielsweise zu irgendwelchen drastischen Maßnahmen provozieren ließ; vielleicht ließ sich auch ein passender Terroranschlag finden, den man den Libyern in die Schuhe schieben konnte.
Als Carl gerade darüber nachdachte, wurde ein Werbespot für CNN unterbrochen. Dann wiederholte man eine Äußerung Ronald Reagans über Ghaddafi, die zu dem jüngsten amerikanischen Kleinkrieg in Libyen gehörte. Die Äußerung stammte aus dem amerikanischen Fliegerfilm »Top Gun«: »Du kannst zwar fliehen, mein Junge, kannst dich aber nirgends verstecken« (man zeigte den Filmausschnitt).
Anschließend wurde der Grund für das damalige Bombardement gezeigt, eine in Berlin in die Luft gesprengte Diskothek. Es folgte »die Lektion«, die man Libyen erteilt hatte, nämlich F-111-Maschinen, die beim Starten und Landen gezeigt wurden. Es wurde erklärt, damals sei es mißlungen, Ghaddafi zu töten. Bei den Angriffen sei nur eine seiner Töchter ums Leben gekommen.
Carl hatte das merkwürdige Gefühl zu träumen. War denn nicht allen ernstzunehmenden Geheimdiensten bekannt, daß dieser Terroranschlag in Berlin von Syrien organisiert worden war und daß Libyen nicht das mindeste damit zu tun gehabt hatte? Glaubte die sogenannte Weltmeinung, jedenfalls die, die Carl im Fernseher sah, noch immer, daß Moammar Ghaddafi mehr oder weniger persönlich eine Diskothek in Berlin in die Luft gejagt und dabei zwei amerikanische Soldaten getötet hatte?
Eines stand jedenfalls fest. Das Weiße Haus hatte die Propagandamaschinerie in Gang gesetzt. Das diente der Einleitung von Kriegsvorbereitungen, die man damit kombinierte, daß nach der neuen Weltordnung im UNO-Sicherheitsrat entsprechende Beschlüsse getroffen wurden.
Es gab also einen Wettlauf mit der Zeit. Die Leute im Weißen Haus schienen allmählich ungeduldig zu werden. So wie die Dinge jetzt standen, konnte nichts mehr aus Libyen ausgeflogen werden. Jedes Schiff, das einen libyschen Hafen verließ, wurde sorgfältig registriert und von Satelliten verfolgt. Das war selbstverständlich. Die Bombe sollte in Libyen also gleichsam angekettet werden.
Carl versuchte sich erneut vorzustellen, welchen Gedanken man im Weißen Haus gefolgt war und wie Colin Powell und vielleicht auch Brent Scowcroft ihre Einwände vorgebracht hatten. Vielleicht hatten die beiden von unklar definierten Zielen und ähnlichem gesprochen. Vielleicht hatten die Politiker einen Kompromiß erzwungen, der eine allmähliche Eskalation vorsah. Damit war es möglich, »die Handlungsfreiheit angesichts verschiedener denkbarer Alternativen zu steigern«, oder wie die Herren sich sonst ausgedrückt hatten. Einige wollten jedenfalls Krieg.
Als Carl erkannte, daß er jetzt schon zum vierten Mal die gleichen Nachrichten und Propagandafilme sah, ohne daß sich etwas anderes geändert hatte als die Werbung für CNN- Vertragshotels in Schweden (wobei man die Namen von Hotels in Stockholm nannte, aber Bilder von Göteborg zeigte), schaltete er den Fernseher
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