Der einzige Sieg
keine große Rolle, welche Motive Boris Jelzin dazu veranlaßt hatten. Er war Politiker und hatte sicher mehr oder weniger begründete oder auch von Wodka getrübte Motive gehabt. In der Sache jedoch bedeutete es, daß Boris Jelzin mit einem Federstrich das aufhob, was sein Vorgänger Gorbatschow ebenso wie Präsident Bush und dessen Ratgeber sowie die schwedische und vermutlich auch die finnische Regierung gemeinsam als absolute Notwendigkeit und schöne Staatskunst vereinbart hatten: Daß dort oben kein Zeuge überleben sollte. Da nie etwas durchsickern durfte.
Das hatte alles so logisch und so notwendig gewirkt. Alle waren sich einig gewesen, jeder einzelne Politiker, unabhängig von dem jeweiligen politischen System. Es war die höchste Wahrheit gewesen, daß der Weltfrieden bestimmte Opfer verlange. Der Beschluß hätte fast einen UNO-Stempel tragen können. Unglücklicherweise mußten bestimmte Offiziere, die in der Kette der Macht und der Entscheidungen ganz weit unten standen, um dieser politischen Einheit willen ein rundes Dutzend Menschen schlachten, zerstückeln und verbrennen. Doch darüber machten sich die Politiker kaum Gedanken.
Diese multinationale Einigkeit hatte Boris Jelzin, ob nüchtern oder nicht, mit einem einzigen Interview in CNN vom Tisch gefegt. Die Schmuggler hätten sehr wohl auf übliche Weise festgenommen werden können, um dann Boris Jelzin, der Öffentlichkeit und den Gerichten übergeben zu werden.
Carl versuchte sich zu erinnern, was für ein Gesicht sein Verteidigungsminister Anders Lönnh gemacht hatte, als sie nach der Rückkehr aus dem Norden zu einem fünf Minuten kurzen Treffen zusammengekommen waren. Neben dem Schreibtisch hatte eine Einkaufstüte des Kaufhauses NK mit Weihnachtsgeschenken in grünem Einwickelpapier mit roten Bändern gestanden. Er schien sehr guter Laune gewesen zu sein.
Carl versuchte sich an jedes Detail ihres kurzen Gesprächs zu erinnern, daran, wie sie über alles gesprochen hatten, ohne viel zu sagen.
»Wie ich höre, ist der Auftrag ohne Mißgeschick durchgeführt worden?« begann der Verteidigungsminister.
»Ja«, erwiderte Carl. »Soweit wir feststellen konnten, haben wir drei Atomsprengköpfe beschlagnahmt. Wir haben soeben aus Moskau die Bestätigung erhalten, daß sich inzwischen alles in Sicherheit befindet.«
»Keine Probleme?«
»Nein, keine Probleme. Sämtliche Befehle sind weisungsgemäß befolgt worden.«
»Und die Geschichte kann nicht herauskommen? Keine Zeugen?«
»Nein, keine Zeugen.«
»Aha. Aber selbst Tote können ja sprechen, wenn ich es zynisch ausdrücken soll.«
»Nicht in diesem Fall.«
»Aha. Nun ja, dann können wir wohl aufatmen, und dann bleibt jetzt kaum mehr zu tun, als frohe Weihnachten zu wünschen.«
Der Verteidigungsminister hatte sehr breit gelächelt, als er Carl die Hand zum Abschied entgegenstreckte. Carl hatte nichts mehr gesagt und nur eine Ehrenbezeigung gemacht, weil er Uniform trug, und war gegangen.
Das war alles. Somit hatte er seinem Verteidigungsminister berichtet, daß er selbst mit Åke und ihren Untergebenen befehlsgemäß ein Dutzend Menschen getötet, zerstückelt, verbrannt und damit vernichtet hatte. Diese würden nie mehr sprechen können und nicht einmal auch nur mit dem kleinsten DNA-Molekül bei einem noch so tüchtigen Pathologen Verdacht erregen können.
Und jetzt hatte Boris Jelzin all dies für überflüssig erklärt und ausgerechnet in CNN davon geplappert, wie gefährlich es sei, russische Kernwaffen stehlen zu wollen.
Tessie legte den Hörer mit ein paar Fernküssen auf und begann eifrig von den Plänen zu einem gemeinsamen Taufschmaus zu erzählen; mit etwas Glück würde zwischen ihrer und Annas Geburt nur eine Woche liegen.
»Niederkunft heißt das«, entgegnete er heiser. »Geboren bist du ja schon, so daß du keine zweite Geburt erleben wirst, es sei denn, du glaubst an Reinkarnation. Wir warten auf deine Niederkunft.«
»Niederkunft? Blödes Wort, womit soll ich denn niederkommen…?«
Sie zögerte, als sie in seinem Blick etwas Beunruhigendes wahrzunehmen glaubte.
»Hat Åke etwas erzählt… Was war denn das mit CNN?«
fuhr sie plötzlich in gedämpftem Ton fort.
»Well«, sagte er und atmete tief durch, »dieser Boris Jelzin hat im Fernsehen gesagt, schwedisches Personal habe eine bestimmte Zahl von Menschen im Norden Rußlands getötet, als diese versucht hätten, Kernwaffen außer Landes zu schmuggeln. Bei den Zeitungen zu Hause soll die Hölle los
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