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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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gedrängt.
    »Du kannst es wohl nicht abwarten, mich loszuwerden, Tutti?« hatte er gefragt.
    Sie hatte nur gelächelt als Antwort – sie hatte in den letzten Tagen statt aller Antwort oft solch schönes Lächeln gehabt, sanft, von innen heraus, ein Leuchten, als sei ihr Glück unaussprechlich.
    Der Junge war zu Haus geblieben, er wußte nicht, daß sein Vater wieder fuhr, er vergnügte sich mit einem Brotkanten.
    Die Halle war schlecht beleuchtet, der Zug sah trostlos aus. Trostlos sahen auch die Urlauber aus, die nun wieder zurückfuhren an die Front. Fast stumm standen sie zwischen ihren Angehörigen. Die sahen den Abreisenden an, sie nickten, wenn er ein Wort sagte, sie nickten so eifrig. Vater fuhr ja wieder an die Front, vielleicht, vielleicht war es das letztemal, daß sie Vater sahen …
    Drückend, eine schwere Last, legte es sich auf Ottos Brust: Auch er fuhr wieder an die Front! In den ersten Tagen hatten ihn die Grabenerinnerungen noch quälend heimgesucht, aber dann war das tägliche Leben gekommen: Tutti, der Junge, die Auseinandersetzung mit Vater, die Suche nach Eva, die Hamsterfahrten – vierzehn Tage, mindestens elf Tage davon hatte er kaum an die Front gedacht.
    Und nun mit einem Schlage, neben dem kohlenstaubbeschmutzten, kalten Zuge stehend, unter dem schlechten Licht zu weniger Lampen, hier wurde alles wieder wach. Greifbar deutlich sah er den Eingang zum Unterstand vor sich, die Erdstufen, die durch Bretter befestigt waren und die doch immer wieder im Schlamm versanken. Er roch den Mief des Unterstandes, überheizt und doch eisig, das faulige Stroh der Betten, alten, hängengebliebenen Schnapsgeruch, schlechten Tabak. Die völlige Freudlosigkeit des vor ihm liegenden Lebens überfiel ihn plötzlich. Die vierzehn Tage hier,so sorgenerfüllt sie auch gewesen waren, sie waren ein unfaßbar schöner Traum gegen das, was ihn erwartete!
    »Wir hätten doch nicht so früh hierhergehen sollen«, sagte er, sich zusammenreißend. »Verdammter Zug!«
    »Jetzt bist du schon draußen, Otto«, sagte sie zärtlich. »Du sollst aber bei mir sein.«
    Er sah sie an. »Es ist schwer, weißt du, Tutti …«, sagte er dann langsam, er schämte sich.
    »Weißt du noch, als du das letztemal fuhrst?«
    »Ja«, nickte er, froh, von seinen Gedanken abgelenkt zu werden, »die ganze Familie war mit, Vater, Mutter, die Geschwister. Du standest da hinten, an einem Pfeiler, ich durfte euch nicht kennen, dich und Gustäving …«
    »Heute sind wir allein, Otto. Ist es heute nicht besser?«
    Er schüttelte den Kopf. »Schlimmer – weil man weiß, was einen draußen erwartet.«
    »Ich habe damals nicht geglaubt, daß du wiederkommen würdest«, sagte sie mutig, ihn fest ansehend.
    »Ich auch nicht – und diesmal …«
    »Doch, Otto, diesmal weiß ich bestimmt, du wirst wiederkommen!«
    Er sah sie bloß an. Ein Flehen lag in seinem Blick – plötzlich war er wieder der weiche, hilfsbedürftige Mann, wie sie ihn kennengelernt.
    Sie half ihm.
    »Doch, Otto«, nickte sie. »Du kannst dich darauf verlassen: Du kommst wieder!«
    »Keiner kann es wissen. Wer einmal draußen gewesen ist und das gesehen hat …«
    »Ganz egal, was draußen ist: Du kommst wieder, Otto!« Sie sah ihn an, sie sah auf die Bahnhofsuhr: noch fünf Minuten. »Otto«, sagte sie und nahm ihn bei der Hand, »Otto, ich habe dir noch etwas zu sagen, etwas, was ich dir verheimlicht habe …«
    »Ja?« fragte er leise.
    »Otto! Ich habe es mir aufgehoben. Du sollst es mitnehmennach draußen. Otto – ich hätte grade meine Tage haben müssen; ich glaube, wir werden noch ein Kind haben!«
    »Tutti …«
    »Ja, Otto, und ich bin so glücklich …«
    »Tutti, warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Ich hätte … ich könnte …«
    »Was? Du wirst wiederkommen, Otto, wenn du das weißt. Fast noch neun Monate, Otto. Der Krieg wird aus sein, Otto; wenn das Kind kommt, wirst du bei mir sein für immer!«
    »Einsteigen! Platz nehmen!« riefen die Schaffner.
    »Oh, Tutti, Tutti! Warum hast du mir das nicht eher gesagt? Warum im letzten Augenblick?! Oh, ich möchte dich … Ja, ich bin unendlich glücklich …«
    »Einsteigen! Beeilen Sie sich doch!«
    »Du kommst ja wieder, Otto. Otto, lieber, lieber Otto, du hast mich unendlich glücklich gemacht, Otto …«
    »Ach, Tutti, laß mich jetzt reden – Kamrad, laß mir das Fenster, ja, bitte …! Oh, Tutti, ja, ich bin so glücklich! Aber wirst du auch aufpassen, wirst du auch genug zu essen haben? Eine Frau, die ein

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