Der eiserne Gustav
hilft nichts. Wir müssen voran« schienen ihr den ganzen Mann Otto Hackendahl wiederzugeben: geduldiges Fügen in ein schweres Schicksal, aber auch Mut.
Im Sinn dieser letzten Worte Otto Hackendahls versuchte sie zu leben und in einer schweren Zeit ihre Kinder zu erziehen: Gustav Hackendahl und Otto Hackendahl, der acht Monate und neunzehn Tage nach seines Vaters Tode geboren wurde.
Es hilft nichts, wir müssen voran …
Es steckte schon etwas in diesem Satz, aber auch in der kleinen Gertrud Hackendahl, geborenen Gudde, auf der Insel Hiddensee gebürtig. Es steckte etwas darin!
Viertes Kapitel
Ein Friede bricht aus
1
Als Heinz Hackendahl, der Siebzehnjährige, der jetzt nur noch von seiner Mutter »Bubi« genannt wurde, nach dem Mittagessen aus der Wohnung fortgehen wollte, hob Vater Hackendahl den Kopf. Er hatte in der Küche gesessen, es hatte ausgesehen, als schliefe er – der »Lokal-Anzeiger« lag neben ihm auf der Erde.
»Wohin?« fragte er den Sohn.
Heinz Hackendahl überlegte. Daß er ein bißchen durch die Straßen bummeln wollte, sehen, was eigentlich los war, durfte er dem Vater nicht sagen. Auf dem Jüngsten, dem einzig ihm verbliebenen Kind, lastete schwer die Hand des Vaters. Um so bedenkenloser half der Junge sich durch Schwindeln.
»Zu Rappold«, sagte er darum nach kurzem Besinnen. »Mathese ochsen. Trigonometrische Gleichungen – Cosinus, Cotangens. Parallelepipedon …«
Der Alte sah mißtrauisch auf den Sohn. »Wo haste denn die Bücher?«
»Brauch keine, Rappold hat sie.«
»Heft?«
»Hab ich in der Tasche …«Heinz zeigte eine Ecke von dem schwarzen Wachstuchdeckel. Hätte der Vater geahnt, daß dieses Heft keine »Mathese«, sondern Verse enthielt, wäre es schlimm ausgegangen.
Aber der Alte knurrte bloß. »Daß du mir nich in die Stadt gehst!« sagte er drohend. »In der Stadt schießen sie.«
»Denke nicht daran. Muß Mathese büffeln. Warum schießen sie denn?«
»Was weiß ich? Wahrscheinlich, weil sie’s Schießen gewohnt sind. Weil sie nicht mehr auf die Engländer und Franzosenschießen dürfen. Weil sie’s letzte bißchen Geschäft kaputtschießen wollen.«
»Dem Schimmel sind ein paar Tage Ruhe ganz gut, Vater«, meinte Heinz tröstend.
»Dem Schimmel? Der is nur noch für die Wurst gut!« Der Alte sah finster drein. Dann, fast zaghaft, daß er an seine eigenen Interessen im allgemeinen Zusammenbruch dachte: »Meinst du, daß meine Kriegsanleihen noch was wert sind?«
Heinz sah den Vater ungewiß an. Gustav Hackendahl sprach mit seinen Kindern nie über seine Vermögensangelegenheiten, aber von der Mutter wußte Heinz, daß 25 000 Mark Kriegsanleihen, das stark verschuldete Haus in der Wexstraße und der Schimmel mit Droschke die Reste von aller Wohlhabenheit des Vaters waren.
Eigentlich muß der Alte viel Sorgen haben, dachte der Sohn mit einer raschen Aufwallung von Mitleid. Und er klagt nie – das muß man sagen. Darin ist er eisern.
Er dachte auch daran, wie der alte Mann tagaus, tagein auf seinen Bock stieg, um ein paar Mark nach Haus zu bringen – aber das Schulgeld, alles, was Heinz für die Penne brauchte, wurde stets klaglos gezahlt.
Fast lächelnd sagte er: »Deine Kriegsanleihen, Vater, ach, die sind doch eisern! Vom Deutschen Reich garantiert!«
Der Vater hatte seine trübe Stunde, er lächelte nicht. »Der Kaiser hat abgedankt«, sagte er. »Er ist über die holländische Grenze, weißt du schon …?«
Heinz grinste verächtlich. »Hast du von ›Lehmann‹ je was anderes erwartet? Bei uns Jungen war der längst abgemeldet. Glaubst du, der garantiert deine Kriegsanleihen? Der ist doch nicht das Deutsche Reich!«
»Hast du die Waffenstillstandsbedingungen gelesen? Die Franzosen wollen bis an den Rhein. In der Stadt schießen sie – vielleicht gibt es bald kein Deutsches Reich mehr!«
Der Sohn klopfte väterlich dem gefürchteten Vater auf die Schulter. »Das gibt es, verlaß dich drauf! Jetzt kommen wir dran!«
»Ihr …?!«
»Na ja! Kaputt ist ja jetzt ziemlich alles – was? Wer soll’s aufbauen? Ihr Alten?«
»Etwa ihr …?!«
»Wer sonst?«
»Mach, daß du an deine Schularbeiten kommst!« schrie der Alte plötzlich. »Du bist ja verrückt! Ihr – wo wir nicht gesiegt haben?! Lausejunge!«
»Ich werde den Hölscher wegen der Anleihen fragen«, sagte Heinz ungerührt. »Sein Vater ist bei der Deutschen Bank.«
»Arbeiten sollst du! Schularbeiten! Ich besorg meine Geschäfte allein …«
Der Vater knurrte drohend.
»Soll ich
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