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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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hat, nach de Polizei telefonieren! Det war nu falsch, denn gleich sind’n paar hinterm Ladentisch, den Schlüssel zu de Hinterstube umjedreht, det er nich wieder raus kann und: Nu jib ihm! Die Brote rausjefeuert aus’t Rejal, immer mang uns! Keene drei Minuten, da war der Laden leer, keen Brot, keene Kunden …«
    Tiefe, andächtige Stille.
    Der Arzt ruft ungeduldig durch die Tür: »Hören Sie nicht?! Die Nächste!«
    Eine Frau erhebt sich widerwillig und verschwindet im Behandlungszimmer.
    Eine andere Frau seufzt tief auf und sagt: »Da hätt ich beisein mögen! Gott wär das schön! Aber so ein Schwein hat unsereiner nich!«
    »Na, und ick?« fragt die Erzählerin. »Ich bin doch dabeijewesen, un ick bin ooch nischt Besseres als Sie!«
    »Wieviel Brot ham Se denn mitjekriegt?«
    Eine rotgesichtige Frau mit Keulenarmen sagt streng: »So wat fragt ein anständiger Mensch nich! Det riecht ja nach Spitzel!«
    Sie werden nun alle still. Sie sinken alle ein bißchen in sich zusammen. Sie denken an das Erzählte. Auch Tutti denkt daran. Sie überlegt, wenn sie in dem Laden gestanden hätte, ob sie auch ein Brot mitgenommen hätte? Und mit Schrecken sagt sie sich: Jawohl, sie hätte auch eines genommen, sie hätte gestohlen! Lieber hätte sie es bezahlt, es war ihr ja nicht um den Geldeswert zu tun, auf die Nahrung kam es ihr an! Und wenn sie die nicht anders kriegen konnte, so würde sie sie auch stehlen! Ohne Gewissensbisse! Oder vielleicht doch mit Gewissensbissen? Ganz egal, sie hätte gestohlen!
    Ottos Gedanken gingen ähnlich. Da stehen wir, dachte er,wie ein Ring halten wir Deutschland umschlossen – aber ist denn das noch Deutschland, was wir verteidigen? Es ist ja alles ganz anders geworden! Dies sind nicht mehr die Menschen, die im August 1914 jubelten.
    Oder ist es nur ihr wirkliches Gesicht, das jetzt klar hervorkommt? Hatte nicht der Leutnant von Ramin so etwas im Granattrichter gesagt: Wir hätten keinen Glauben mehr gehabt? Keine Idee? Es war ja nicht das Brot, das diese Frau genommen hatte – das verstand Otto schon. Hunger tut immer weh, aber viel weher tut es einer Mutter, wenn sie ihre Kinder hungern sieht. Das ist ein Gefühl aus den Urzeiten her, da fallen alle Hemmungen. Nein, es war nicht das Brot … Sondern es war dies, daß Otto, wo er auch gewesen war, in diesen vierzehn Tagen, und auch in den Tagen vorher, im Graben – nirgend hatte er gehört, um was es eigentlich ging: Was verteidigten sie denn eigentlich?
    Deutschland? Dies war nicht Deutschland! Kein Feind konnte dieses Volk noch mehr hungern lassen, noch elender machen. Diesen Leuten war auch nicht mehr die kleinste Hoffnung zu nehmen – sie hatten keine einzige mehr zurückbehalten! Was verteidigten sie eigentlich? Für was kämpften sie? Unser oberster Kriegsherr, der Kaiser – ja, neulich war er an der Front gewesen, ziemlich nahe an der Front jedenfalls, nicht mehr als hundert Kilometer ab, und er hatte sich die erschöpften, verblutenden Truppen vorführen lassen, er war sehr gnädig gewesen …
    O Gott, das war es ja alles nicht! Das war ja alles Unsinn, kleinlicher Haß! Der Kaiser war ein großer Herr, er konnte wahrscheinlich auch nicht aus seiner Haut, er wußte nichts, gar nichts von seinem Volk … Aber das Volk, was war mit dem? Für was kämpfte denn dieses Volk? Warum litt es so? Wozu wurde es so schlecht? Es mußte doch einen Sinn haben?! Es konnte doch nicht einfach untergehen und verrecken, und dann kam irgendein anderes Volk, und war eine Weile groß und glücklich und verreckte dann auch?! Das war unmöglich! Das ging nicht, das sah sogar er ein. Dann war esja tausendmal besser, man kämpfte erst gar nicht, man wehrte sich gar nicht, man nahm eine Handgranate und zog ab!
    Es
muß
einen Sinn haben, dies alles sinnlos erleiden ist unmöglich! Und wenn der Leutnant von Ramin und ich und keiner von meinen Kameraden diesen Sinn noch wissen, so heißt das nicht, daß es keinen Sinn hat. Wenn das Gesicht des Wohllebens vor dem Kriege sich jetzt in eine nackte Hungerfratze verwandelt hat, so sitzt doch vielleicht schon wieder hinter dieser Hungerfratze ein anderes Gesicht …?
    Es wird schon Leute geben, die es wissen, sagte sich Otto. Es kann ja gar nicht anders sein. Und wenn es heute noch keiner weiß, und wenn ich selbst es nie erfahre, für was ich eigentlich kämpfe, mein Junge wird es schon erfahren …
    Und er sieht Gustäving, den Vierjährigen, an und sagt zu ihm – aber nur er weiß, was er damit meint: »Es

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