Der eiserne Gustav
Kind erwartet …«
»Ich soll jeden Monat zum Arzt kommen. Er sorgt schon für mich.«
»Ich schicke dir von der Front, was ich kann. Manchmal erbeuten wir wundervolle englische Konserven …«
»Du draußen, ich hier – wir denken nur an das Kind, und das bringt dich heim, Otto!«
»Abfahrt!«
Der Zug fuhr langsam an, die Verklammerung ihrer Hände löste sich. Sie versuchte mitzulaufen. Ihre Lippen formten immer wieder das Wort: glücklich!
Schließlich sah er sie, eine schwache, schiefe Gestalt, keuchend stehen, aber sie sagte noch immer, mit Augen, mit Mund, mit ihrem ganzen Sein: glücklich!
»Ich muß wiederkommen!« sagte er und schloß das Fenster. »Ich werde wiederkommen. Sie braucht mich doch! Glücklich – ja! Glücklich? Doch! – Ich komme wieder!«
18
Am Mittag des nächsten Tages wurde der Unteroffizier Otto Hackendahl auf dem Weg in den Graben seiner Kompanie von einem Granatsplitter verletzt. Er starb schon wenige Stunden später, nach schwerem Leiden. Er starb in eben jenem Unterstand, der ihm als schreckliche Vision auf dem Anhalter Bahnhof erschienen war. Wenn sein Auge in den letzten Minuten noch etwas sah, so waren es die im Schlamm versinkenden Eingangsstufen. Die letzte Luft, die er atmete, war die überhitzte und doch eisige, nach schlechtem Tabak und Schnaps stinkende Luft dieses Raums. Er starb auf dem faulenden Stroh seiner Pritsche.
Otto Hackendahl hatte seinen Kameraden, die sich um ihn kümmerten, nichts mehr an die Frau auftragen können. Der Granatsplitter hatte den Unterleib getroffen, er konnte nur schreien und stöhnen. Auch die beiden starken Morphiumspritzen, die ihm der Sanitätsoffizier kurz hintereinander gab, hatten diese Schmerzen nicht betäuben können. Doch wird er schon da kaum noch ein bewußtes Ich gewesen sein. Diese Erde mit ihrem liebevollen Sorgen um Weib und Kinder, mit ihrem unbeholfenen Fragen nach dem »Warum«, nach dem »Sinn« – war ihm schon bei Lebzeiten entglitten.
Der Kompanieführer, der seine Eltern benachrichtigte (von seiner jungen Verheiratung war bei der Kompanie nichts bekannt), schrieb, daß Otto Hackendahl ehrenvoll den Tod vor dem Feinde gestorben sei. Ein Trost sei es für die Eltern, daß er nicht gelitten habe, er sei sofort tot gewesen.
Die alte Frau Hackendahl weinte auf. »Das schreiben sie bei allen!«
Und der alte Gustav Hackendahl, der eiserne Gustav, fragte ganz sanft: »Mutter, was sollen sie denn sonst schreiben? Daß er sich gequält hat? Wollen wir’s ihnen glauben – jetzt quält er sich nicht mehr.«
Verhältnismäßig spät erst erfuhr Gertrud Hackendahl von dem Tod ihres Mannes. Nach der ersten Ungläubigkeit, nacheinem langen wilden Schmerz war all ihr Sinnen und Trachten, Nachrichten von den letzten Stunden Ottos zu erhalten. Sie wollte es einfach nicht glauben, daß er ihr kein Wort, keine Botschaft hinterlassen hatte …
Schließlich erfuhr sie folgendes:
Die Urlauber seines Regiments – es waren etwa zwölf oder fünfzehn – erfuhren schon auf dem kleinen Ankunftsbahnhof, daß die Gräben seit Tagen in schwerem Feuer lagen. In der Nacht seien mehrfach Sturmangriffe unter schweren Opfern abgeschlagen, das Regiment habe schreckliche Verluste erlitten.
So schnell wie möglich marschierten die Leute ihren Stellungen zu. Sie marschierten in den immer stärker aufgrollenden Donner der Geschütze – sie kehrten zurück, wortlos, finster, aber sehr eilig. Alle waren mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.
Schließlich, schon ganz nah ihrem Ziel, entdeckten sie, daß der Verbindungsgraben zur Stellung vollständig zusammengeschossen war. Er war fast eingeebnet und lag dem feindlichen Feuer offen.
Sie warteten Viertelstunde um Viertelstunde in einem halb zerstörten Unterstand auf das Nachlassen des Feuers. Sie waren unschlüssig, berieten, ob man es wagen solle, und warteten wieder.
Jetzt dachte keiner mehr an die Heimat. Sie dachten nur noch an den Graben, an die erschöpften, zermürbten, übermüdeten Kameraden dort, an den Angriff, der in aller Kürze dieser Artillerievorbereitung folgen mußte. Und sie würden fehlen!
Nach einer neuerlichen, wieder ergebnislosen Beratung sagte Otto Hackendahl plötzlich: »Es hilft nichts. Die warten auf uns. Wir müssen voran.«
Er lief vor den anderen. Alle erreichten unverletzt den Graben. Erst dort, fast am Eingang seines Unterstandes, wurde er getroffen.
Dies war alles, was Gertrud Hackendahl in Erfahrungbrachte. Aber es war ihr genug. Diese Worte »Es
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