Der eiserne Gustav
also den Hölscher fragen …?«
Der Vater knurrte unbestimmt.
»Im übrigen kann ja jetzt auch Erich jeden Tag nach Haus kommen, der Herr Leutnant, die Leuchte des Hauses … und die gute Sophie …«
»Um sechs bist du wieder hier!«
»Kann auch später werden, Vater«, erklärte Heinz unbestimmt. »Parallelepipedon ist verdammt knifflig!«
»Um sechs!«
»Wie gesagt! Knifflig! Auf Wiedersehen, Vater. Eßt mir bloß mein Brot nicht auf, wenn ich später komme!«
Und nachdem er so seine verspätete Rückkehr vorbereitet hatte, sprang Heinz eilig die dunkle Treppe hinunter und lief über den Hof auf die Straße.
2
Heinz Hackendahl hatte natürlich nicht die geringste Lust, zu Rappold zu gehen und zu arbeiten. Auch der Weg zu Hölscher wegen der Kriegsanleihen schien ihm nicht eilig. Einen Augenblick sah er die graue Wexstraße hinunter, die an diesem Novembertage besonders grau und trostlos aussah.Vor den Lebensmittelläden standen sie Schlange. Immer noch oder schon wieder, seine Mutter würde wohl irgendwo dazwischen stehen.
Es war alles wie sonst, aber: In der Stadt schießen sie, klang es im Ohr des Siebzehnjährigen. Man müßte sich das einmal ansehen, dachte er …
Aber dann ging er doch wie gewohnt um die Ecke rechts, zwei Block geradeaus, um die Ecke links, schräg über den Fahrdamm – und nun stand er vor dem Papierwarengeschäft der Witwe Quaas.
Heinz faßte in seine Tasche: Jawohl, die heute früh der Mutter abgeschwatzte Mark weilte noch bei ihm. Wohlan! Man konnte zum Ankauf von zwei Stahlfedern (Preis fünf Pfennige) oder von fünf Löschblättern (Preis auch fünf Pfennige) schreiten. Wenn es auch kein großer Einkauf war, man muß das Dekorum wahren.
Die Ladenklingel bimmelte jämmerlich – und doch angenehm vertraut. Der Laden war staubig, leer, kalt und schien Heinz Hackendahl doch einer der angenehmsten Plätze der Welt. Die Witwe Quaas war ein kleines, verhutzeltes, trost-und hilflos aussehendes Weiblein, mit den Hungerfalten und den Hungeraugen der Kriegsjahre – aber für Heinz war sie ein ausgesprochen erfreulicher Anblick.
»Zwei Bremer Börse«, sagte Heinz möglichst laut. »EF, die ganz spitze, Frau Quaas, wissen Sie?«
»Heinz! Herr Hackendahl! Ich hatte Sie doch gebeten, nicht so oft zu kommen!« sagte die Witwe hilflos.
»Aber ich brauch die Federn wirklich, Frau Quaas«, versicherte Heinz zwar bieder, aber sehr laut. »Ich muß sofort einen Aufsatz über den Vogelflug in den Dramen des Euripides ins reine schreiben. Ich komme bestimmt nicht wegen Irma …«
»Herr Hackendahl, Sie sind doch erst siebzehn, und Irma ist kaum fünfzehn …«
»Zwei Bremer Börse, EF, ganz spitz, Frau Quaas. Von Irma reden wir nicht, Irma ist ohne alles Interesse …«
»Was quatschst du denn hier von mir, Heinz? Was ist denn los?«
»Tag, Irma. Zwei Bremer Börse, EF, ganz spitz …«
»Red keinen Stuß! Du hast mehr Federn als wir hier im Laden. Was ist los?«
»In der Stadt sollen sie schießen …«
»Au fein! Gehen wir hin …?«
»Denn schon besser fahren, sonst ist der Spaß alle, ehe wir ankommen …«
»Mutter, hast du’n Fuffziger für mich? Du kannst ihn mir am Sonnabend vom Taschengeld abziehen.«
»Irma! Unter keinen Umständen erlaube ich dir … Wenn sie in der Stadt schießen! Herr Hackendahl, Sie sollten sich schämen …«
»Disposition: Groß Lateinisch A, Frau Quaas: Erstens schießen sie nicht. Zweitens: Groß Lateinisch B: Wenn sie schießen, gehen wir nicht hin. Alpha: Wo sie schießen. Beta: Schießen sie nicht. Drittens: Groß Lateinisch C: Habe ich Fahrgeld, Alpha: für mich, Beta: für Irma …«
»Herr Hackendahl, bitte, fangen Sie nicht wieder an, so schrecklich mit mir zu reden! Mir wird immer ganz wirr im Kopf davon. Irma kann doch unmöglich …«
»Unmöglich! Ich kann Ihnen sofort drei bis sieben gute Gründe sagen, Frau Quaas, daß sie doch kann. Erstens kann sie, da ihre freie Willensbestimmung, selbst wenn wir annehmen, daß mehr eine Freiwilligkeit als ein freier Wille …«
»Herr Hackendahl, bitte seien Sie still! Immer kommen Sie in meinen Laden …«
»Heinz, hör jetzt auf, Mutter zu ärgern. Mutter hat ja schon erlaubt, daß ich fahre …«
»Ich erlaube es nicht, nein, ich erlaube es keinesfalls, Irmchen, o Gott, wenn dir was passiert! Zieh wenigstens deinen Wintermantel an! Ach nein, die Mottenlöcher sind noch nicht gestopft. Und bind dir den Schal um …«
»Tjüs, Mutter, gib mir ’nen Kuß. Hab bloß keine Angst um –
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