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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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trauern müßte. Im Gegenteil, es liegt ein großer Trost darin, daß alles vergeht – so vergeht auch Schmach. Man kann sich erheben aus dem Dreck, in den man fiel.
    Ein einfahrendes Auto hupt wütend – Heinz nimmt seine Koffer auf und geht weiter. Er biegt in eine Nebenstraße, in eine zweite, geht über ein paar Höfe und ersteigt fünf Treppen.
    Das Schild »Gertrud Hackendahl – Schneiderin« hängt noch an der Tür. Einen Augenblick zaudert er. Es ist kaum dreiviertel Jahr her, daß er hier zum letztenmal war. Aber es scheint eine endlose Zeit, wenn er überdenkt, was er seit jenem Abend alles erlebte: Erich und die Revolution, Tinette und Irma, Maturum und Eva …
    Einen Augenblick zaudert er. Dann aber drückt er entschlossen auf den Klingelknopf.
    Gertrud Hackendahl öffnet ihm. »Du, Bubi?«
    »Ja, ich, Tutti. – Aber ehe ich mit meinen Koffern reinkomme, möchte ich dich fragen, ob du mich auch haben willst? Verstehst du, ich möchte bei dir wohnen. Ich habe eine kleine Stellung bei einer Bank bekommen; vielleicht kann ich dir ein bißchen bei den Jungen helfen …?«
    Er hat gesagt, was er sich überlegt hat. Aber es scheintihm jetzt schwach und falsch. So sagt er noch: »Und vielleicht kannst du mir auch ein bißchen helfen, Tutti? Es ist ja nun Friede geworden … Vielleicht kannst du mir helfen, du bist, glaube ich, die einzig Starke in unserer Familie …«
    Sie sieht ihn an. Dann ruft sie, und sie verbirgt nicht ihre Freude: »Komm nur rein, Bubi! – Natürlich kannst du mir viel helfen – bei den Jungen!«
    Er tritt ein.

Sechstes Kapitel

Rausch der Armut

1

    Der alte Gustav Hackendahl, der Vater – denn es gab ja auch einen jungen Gustav Hackendahl, den ältesten Sohn vom gefallenen Otto; der Alte hatte ihn freilich nie gesehen –, der alte Gustav Hackendahl fand es immer schwieriger, mit einem Pferde zwei Menschen zu ernähren, nämlich sich und seine Frau.
    Früher, vor dem Kriege, konnte man mit einer Droschke sogar Kinder großziehen, wenn man sich nur ein bißchen Mühe gab, die richtigen Warteplätze aufsuchte und einen Gaul vor dem Wagen hatte, der den Leuten Vertrauen einflößte.
    Aber wer setzte sich heute noch in eine Pferdedroschke? Liebespaare im Sommer und Angesoffene zu allen Jahreszeiten. Dann gab es noch eine gewisse Nachfrage nach Droschken, wenn Wahlen waren; dann fuhr man alte und kranke Leute, die eine vernünftige Abneigung gegen Autos hatten, zum Wahllokal.
    Aber all das verschlug nichts, das Geschäft ging nicht mehr – in diesen Zeiten konnte ein Pferd nicht einmal mehr sich selbst ernähren, geschweige denn zwei alte Leute. Gustav Hackendahl gewöhnte es sich an, wenn er von seinen Fuhren durch die Kaiserallee heimwärts zuckelte, bei der Furagehandlung von Niemeyer erst einmal das Tagesfutter für den Rappen einzuhandeln, denn der Rappe ging vor. Als Hackendahl zum erstenmal für den Zentner Hafer, der vor dem Krieg sechs Mark gekostet hatte, sechshundert zahlen mußte, hatte er doch trotz all seiner Eisernheit gemeint, jetzt sei es mit der Welt am Ende. Nun zahlte er längst sechstausend Mark, und die Welt lief weiter nach dem Spruch: »Je öller, je döller!«
    Bloß, daß Hackendahl schon längst nicht mehr den Haferzentnerweise kaufte. »Und die mögen bei Niemeyern noch so sehr anjeben, Mutter, ick hole mir alle Taje meine zwölf Pfund Hafer! Zehn Pfund kriejt der Rappe, und zweie bleiben alle Tage zurück fürn Sonntag. Ick bin vorsichtig geworden!«
    Aber alle Vorsicht half nichts. Oft mußte Hackendahl mit abgewendetem Kopf bei Niemeyer vorbeifahren, weil er kein Geld hatte, weil einen ganzen langen Tag kein Mensch eingestiegen war in die Droschke. Da stand denn der eiserne Gustav in der ehemaligen Tischlerwerkstatt bei seinem Gaul, hatte dem ein Futter zurechtgemanscht aus ein bißchen Heu und ein bißchen Streu und dachte an die alten Zeiten, da der Hafer alle Tage zentnerweise vom Boden geholt worden war, sein eigener Hafer von seinem eigenen Boden, und wie der Futtermeister Rabause (was aus dem wohl geworden war?) mit der vollen Futterschwinge durch den Stall gelaufen war.
    »Jute Zeiten, Rappe, fette Zeiten – wie jut und fett, det merken wir alle erst heute. Du ooch, oller Dussel! Ick habe doch nischt – du kannst mir anstoßen mit deine Fresse, es fällt nischt raus!«
    Nun gut, auf seine alten Tage lernte es der eiserne Gustav noch, sich in jede Situation zu schicken. Aber es machte keinen Spaß, weil es trotz aller Anstrengungen kein

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