Der eiserne Gustav
jestanden bist, Schwager, mit deine Quanten uff meine Flosse, da ha’ick mir jedacht: Det war doch eijentlich janz schön, wenn de jetzt eine hättest, die dir versorcht. Andere Blinde haben ’nen Hund, ick habe ebent det Fräulein Schwester von dem jungen Herrn, der uff deine Flosse turnt. Det muß den jungen Mann doch freun, wenn er sieht, seine Schwester is noch zu wat nutze …«
»Böse!« rief Heinz Hackendahl. »Hör doch, wie böse er ist! Er wird dich zu Tode quälen, Eva!«
Sie sah ihn an mit einem raschen klaren Blick, einem hellen Strahl durch all den grauen, grausigen Nebel. Wie hatte sie ganz im Anfang einmal zu ihm gesagt: »Entweder stirbt er durch mich oder ich durch ihn«– war das ihre Hoffnung?
»Aber junger Mann, aber«, sprach Eugen Bast, »reden Se man hier keenen Stuß! Ick und böse? Ick bin det jutmütigste Aas von der Welt! Suchen Se sich erst mal eenen, der sich so in de Visage knallen läßt wie ick, Oojenlicht weg – und keen Wort, keen Vorwurf!«
Er strich sich nachdenklich übers Gesicht, tastete mit den Fingern über die schrecklichen Wundränder.
»Die andern sagen mir, ick bin keene Schönheit mehr, früher war ick’n janz ansehnlicher Mann. Nu, det hat se janz jut jemacht, det ick den Verfall von meine Schönheit nich mehr sehen kann, wat, Evchen? Da hast’n Witz jemacht, wat?«
Er lachte.
Sie gab einen leisen, gequälten Laut von sich – der Blinde wandte ihr den Kopf zu.
»Komm du mal her«, sagte er.
Sie kam zu ihm, sie stand vor ihm, sie sah in das schreckliche Gesicht.
»Sach deinem Bruder: Bin ick schön for dir oder bin ick häßlich?«
»Schön …«, flüsterte sie.
»Machste mir noch? Liebste mir, sach!«
»Doch!«
»Du sollst es ihm sagen, Nutte!«
»Ich liebe dich noch, Eugen!«
»Zeich et deinem Bruder – küß mir!«
Sie beugte sich über den Blinden – und Heinz Hackendahl sah nicht mehr die beiden … Er sah sich selbst vor Tinette, und Tinette war gut anzusehen gewesen, aber wenn nur schön sein konnte, was auch gut war, wie die Griechen sagten, so war sie ebenso häßlich gewesen wie Eugen Bast. Seine eigene Hörigkeit sah er, seine eigene Lust am Schmerz; hier wurde er noch einmal gedemütigt, mußte noch einmal die eigene Schmach fühlen …
»Eva …!« bat er leise.
Ihre Lippen auf den grauschwarzen Narben, sah sie ihn an. Ein kurzer Blick, fast wie ein Lächeln. Eine dunkle Seele – eine Seele in Qual. Es geht vorüber, schien ihr Lächeln zu sagen. Schmerz geht ebenso vorüber wie Lust. Am Ende, wenn alles vorbei ist, war es gleichgültig, was man erlebt hatte: Lust oder Schmerz …
Nein! Nein! schrie es in ihm. Ich will nicht …
Eugen Bast schob die Eva fort. »Jenuch Theata«, sagte er. »Mach fertig. – Un Sie, junger Mann, Sie können jetzt ruhig von hier direkt uff de Polizei jehn – wir sind noch ’ne Weile hier, die können uns jerne holen. Aber det versprech ick Ihnen, so lange ick rin muß, solange jeht Ihre Schwester ooch rin, dafor wird jesorcht, dafor sorcht se selber. – Un wenn se dann rauskommt, so in Stücker zehn Jahren, denn soll se’n Leben kriejen – da hat se jetzt den reinen Himmel! Det versprech ick Ihnen, junger Mann!«
»Eva!« bat Heinz noch einmal.
Aber Eva schüttelte nur leise den Kopf bei ihrer Packerei.
»Und nun hauen Se ab, junger Mann!« rief Eugen Bast plötzlich mit ganz anderer Stimme. »Sie werden hier nich mehr jebraucht. Jede Minute, die Sie hier noch stehn, kneif ick Ihr Frollein Schwester een bißken fester … Eva, stell dir her zu mir … Jib deinen Arm her … nee, det dicke Fleisch von’m Oberarm … So, junger Mann; fühlstet, Eva …?«
Heinz stürzte aus dem Zimmer. Er floh, er lief immer schneller durch die Straßen. Er lief von dem schrecklichen Haus in der Tieckstraße fort, von den Bildern in sich fort, von der eigenen Schande, der eigenen Schmach.
Schließlich fand er irgendeine Bank. Da saß er lange, das Gesicht zwischen den Händen, es war noch heller Tag. Er ließ die Tränen zwischen den Fingern hindurchlaufen, Tränen des Schmerzes, des Mitleids – aber vor allem Tränen der Wut über seine eigene Hilflosigkeit, seine verdammte Schwäche …
Stark muß ich werden, dachte er. Daß ich ändern kann. Es muß geändert werden. Bloß Mitleid haben, ist nur Schwäche, Feigheit. Ändern muß man die Welt – und dafür muß man stark sein!
So ging es fieberhaft durch seinen Kopf – er hatte Visionen von einer Zukunft, in der er stark sein würde, fähig,
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