Der eiserne Gustav
genug, was ihm aufgeladen war, daß er nun auch das von der Schwester erzählen mußte – nein, es war nicht leicht …
Der Vater saß am Tisch, er schnitzelte an einem Stock und hörte wortlos die Klagen der Mutter an, daß es mit der Nachtarbeit vorbei war … Sie barmte, wie schönes Geld das eingebracht hätte, wie sie endlich wieder einmal sorglos hätten leben können, und nun – einfach vorbei! »Aber Vater erzählt mir ja nie, warum er etwas tut!«
Der Vater sagte nur: »Narrenspossen!«
Die Mutter bezog es auf sich und klagte weinerlich weiter. Heinz aber verstand, daß der Vater seine Tätigkeit im groben Keller damit meinte. Er war unruhig, er wäre gerne zu Worte gekommen. Nicht zum ersten Male fand er, die Mutter jammre zuviel, und der Vater sei eigentlich geduldiger, als man denke. Die Mutter hatte natürlich vergessen, wie sehrsie zu Anfang geklagt hatte, der Vater werde sich das Saufen angewöhnen. Der Vater hatte es bestimmt nicht vergessen, aber mit keinem Wort erinnerte er Mutter daran. Vernünftig war das von Vater, und geduldig.
Endlich machte die Mutter eine Pause, und der Sohn konnte von Eva berichten.
»Das habe ich längst erwartet!« klagte die Mutter. Der Vater sah den Sohn mit seinen großen Augen an, nickte, sagte aber weiter nichts. Nach einer Weile stand er auf, ging im Zimmer hin und her und befahl schließlich der Mutter: »Geh und koch uns einen Kaffee.«
Die Mutter ging langsam und weinend, sie weinte so leicht und mühelos, man sah es nicht gerne. Genauso weinte sie über jedes kleine Mißgeschick, einen angebrannten Milchreis etwa.
Der Vater blieb vor Heinz stehen. »Wie sieht sie aus?« fragte er.
»Sie hat sich sehr verändert. Sie sieht alt aus und ohne Leben.«
»Ist das noch immer derselbe Kerl wie früher? – Bast, so hieß er wohl. Eugen Bast?«
»Ja.«
»Dann kann man nichts tun. Ich habe ihn einmal gesehen.«
»Ich habe ihn auch einmal gesehen«, sagte Heinz. Er schloß die Augen, und der blinde Mann, der sich seine grausigen Narben küssen ließ, stand wieder vor ihm. Schrecklich! »Hast du ihn gesehen, als er schon blind war …?«
»Blind? Ist er jetzt blind …? Das ist eine Strafe Gottes!«
»Eva hat ihn blind geschossen.«
»Eva? Dann kann man ihr vielleicht doch noch helfen?«
»Nein – seitdem gar nicht mehr. Sie hat keine Kraft, ihm zu widerstehen.«
»Ja«, sagte der Alte. »Nein – haste recht. – Wirste manchmal nach ihr sehen?«
»Ja.«
»Gut. – Und ich werde auch vernommen?«
»Sicher.«
»Was soll ich denen denn sagen …?«
»Alles, wie es ist!«
»Wie es ist!« Der eiserne Gustav lachte. »Det wird schwer sind, Bubi. – Denn det weeß ick nich, wie et is. Wieso det allens is, mit meine Kinder. Wieso is det eigentlich so, Bubi? Is dir nich manchmal bange, du wirst ooch so?«
»Nein, Vater, mir ist nicht mehr bange. Gar nicht. Ich hatte mal Angst …«
»Siehste!«
»Ich denke manchmal, mit den Geschwistern ist es bloß so geworden, weil sie soviel älter sind als ich. Sie haben alles zu fühlen gekriegt, nicht nur wie ich bloß die Inflation. Vom Kriege weiß ich doch eigentlich wenig und vom Frieden kaum etwas … Die Friedenszeit vor dem Kriege, die war ganz besonders schlimm, Vater!«
»Ach, redt nich! Die Friedenszeit war janz jut, ’ne joldene Zeit war det!«
»Aber es stimmte alles nicht, Vater! Es sah nach Gold aus, aber es war bloß Vergoldung. Es war nicht echt, es ging gleich ab, als es gebraucht wurde.«
»Bei mir is nischt abjejangen.«
Heinz hätte widersprechen können. Er dachte an den Wohlstand des Vaters, der »abgegangen« war. Er dachte an die Kindesliebe, die man nicht befehlen kann, die auch abgegangen war. Er dachte an das Eiserne im Vater, das immer weicher wurde, das immer weniger da war, je häufiger er sich darauf berief … Aber es hatte keinen Zweck …
»Also ich seh denn mal nach Eva«, sagte er.
Der Vater war noch in Gedanken. Er sagte: »Früher war es leichter fürn ollen Mann, sich zurechtzufinden – aber jetzt … nischt nich!«
Er sah die Schnitzerei auf dem Tisch an. Sein Blick wurde lebendiger. »Jedenfalls, ick tu nur noch, wat mir paßt. Ick richte mir nach jar nischt mehr, nich nach Jesetzen, nichnach meinen Kindern, nich nach, wat der Paster predigt – ich richte mir nur noch nach mir … Heinz, wat wird det?«
Und er hielt den Stock hoch.
»Ich weiß nicht, Vater. Soll’s ’ne Peitsche werden? Aber dafür ist es zu kurz …«
»Jetzt wartest du noch fünf
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