Der eiserne Gustav
ich liege mit einer Million in der Baisse!«
Schließlich besann sich Herr Roest wieder auf Besucher und Brief. »Was wollen Se?« fragte er argwöhnisch. »Alle wollen se was von mir. Und wer gibt mir?«
Er entschloß sich zum Lesen des Briefes und wurde milder. »So? Auf de Börse wollen Se gehn? In Devisen wollen Se machen? Da sind Se richtig – ich werd sorgen für Se, als wären Se mein Sohn, wie für mich selbst will ich sorgen! Die Mark, die Mark, was wolln Se mit de Mark? Da verbrennen Se sich die Finger, wer kann wissen, was wird mit de Mark? Der Poincaré – er ruiniert se! Was hat der Mann davon?! Nischt hat er davon! Wenn er noch was davon hätte – aber bloß so! Nee? Mit wieviel wollen Se reinsteigen ins Geschäft?«
Erich Hackendahl murmelte etwas von fünfzigtausend Dollar, er wolle es sich noch überlegen, ein bißchen herumhorchen … Herr Roest gefiel ihm nicht, mit seinen schmutzigen, abgebissenen Nägeln, seiner Art zu klagen und zu schimpfen, dem seidenen Taschentuch …
»Gehn Se, junger Mann! Fragen Se! Fragen Se nach Bankier Roest – Se werden hören! Was werden Se hören? Gott,ich liege schief, ich liege schief mit einer Million Brüssel!« Er besann sich, streckte dem Besucher eine schweißige, dürre Hand hin. »Se werden hören. Se werden wiederkommen! Gott, was für ein unerfahrener Nebbich, denkt, er kann behalten das Geld in seiner Hand und machen große Geschäfte. Er wird sehen …!«
Erich Hackendahl sah, er sah die Stadt im Taumel. Das heißt, er sah gar nicht die Stadt. Er hatte vorgehabt, in das Rijks-Museum zu gehen und sich die Rembrandts anzusehen. Der Binnenländer wollte sich den Hafen anschauen, den Überseeverkehr – er sah nie etwas davon. Er saß herum in den Hallen der Luxushotels, in den Bars der Stadt, in den Cafés, wo die Börsianer saßen. Er kam in die Stuben der Börsenmakler, saß mit anderen Kunden um die Tische und starrte fieberisch gespannt die Glastafeln an, auf denen Zahlen leuchteten, die Notierungen, verloschen, wieder aufleuchteten …
Wo er ging und stand, hörte er nur noch Worte wie Golddevise, in die Baisse gehen, fixen, Brief und Geld, Arbitrage, Gulden, Franken, Dollar, Pfund – er hörte nichts anderes mehr. Es mochte sein, daß das holländische Volk ein anderes Leben führte. Manchmal, wenn er um vier Uhr morgens aus einer Bar ins Hotel ging, sah er die Fischer auf ihrem Weg zum Hafen, sah ihre braunen, lederartig gegerbten Gesichter mit den merkwürdig hellen Augen. Und flüchtig kam ihm zum Bewußtsein, daß diese Leute zur Arbeit gingen, zu richtiger Handarbeit, daß sie ihr Leben für einen Gulden wagten, während nahebei, hinter den Mauern der Börse, jeden Tag Zehntausende, Hunderttausende, Millionen von Gulden zu gewinnen (und zu verlieren) waren.
Aber das glitt vorüber, es haftete nicht. Es hatte nichts mit ihm zu tun. Er war empört gewesen, daß der Bankier Roest ihn als Schnorrer und Nebbich empfangen hatte, aber er sah bald, daß er in dieser Stadt, die in einem Millionentaumel lebte, wirklich ein Nebbich war. Der Bankier Roest mit seinendrei armseligen, verdreckten Zimmern lag mit fünfzig Millionen Gulden Engagements auf dem Markt.
Andere Leute, neben denen er früher in einem Café nicht hätte sitzen mögen, so ungepflegt sahen sie aus, hatten noch viel größere Geschäfte laufen. Jetzt mochte er neben ihnen sitzen, er drängte sich an sie, er lauschte andächtig ihren Worten, wenn sie, mürrisch in ihrem Kaffee rührend, sagten: »Ich hab’n Gefiehl, ich hab geträumt von eine schwarze Katz mit weiße Fleck. Ich hab’n Gefiehl, der Dollar wird kommen morgen flau …«
Dann sah er diese Gestalten in ihre englischen oder italienischen Luxusautos steigen und abbrausen im Hundertkilometertempo nach Scheveningen oder Spaa …
Ein brennender Neid erfüllte ihn.« In Berlin war er sich mit seinem Vermögen von gut einer halben Million wie ein reicher Mann vorgekommen, hier sah er ein, daß er nichts hatte. Es gab hier Leute, und er sprach mit ihnen, die den zwanzigfachen Betrag seines Vermögens in einer halben Stunde verloren und lachten. »Ich werd nich betteln gehn – wiederholen werd ich mir mein Geld«, sagten sie lachend. Und sie holten es sich wirklich wieder.
Erich Hackendahl beneidete sie und verachtete sie. Er beneidete sie um ihre Nase für den Markt, ihre Nerven, den tollkühnen, bedenkenlosen Mut, mit dem sie fast stündlich ihre ganze Existenz, all ihr Hab und Gut wagten, er beneidete sie noch um
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