Der eiserne Gustav
setzte sich neben sie.
»Erlaube mal!« rief sie empört. »Willst du dich etwa hier häuslich niederlassen?«
»Ich dachte so. Bis du dir die Sache überlegt hast!«
»Du bist doch zu …! Ach was, mach dir nichts draus, Mutter. Tu einfach, als ob er nicht da wäre! Es wird ihm schon zu dumm werden!«
»Ich habe ihm wirklich nicht die Papiere gegeben, Irmchen!« jammerte Frau Quaas los. »Ich habe eben nachgesehen, sie sind alle noch da. Er hat gelogen …«
»Natürlich hat er gelogen. Reg dich bloß nicht auf, Mutter. Ein ganz gemeiner Lügner ist er!«
Keine Reaktion des Beschimpften.
»Und mit den Ringen, das ist natürlich auch gelogen. Er hat gar keine! Alles gelogen!«
Keine Antwort.
Sehr verächtlich: »Und natürlich hat er auch keine Wohnung – der ist froh, wenn er sein möbliertes Zimmer bezahlen kann!«
»Dies nun doch nicht!« sagte Heinz kühl. »Das mit der Wohnung ist wirklich wahr! – O Gott!« Er sprang entsetzt auf. »Nun habe ich doch wahrhaftig den Gasherd brennen lassen, und der Topf mit Milch steht drauf …!«
Er lief zur Tür. Sie sahen ihn schreckenvoll an, gedenkend der überkochenden, verbrennenden, stinkenden Milch.
Er kehrte bleich, aber entschlossen um. »Ganz egal«, sagte er finster. »Laß se stinken, laß die Feuerwehr kommen. Ich gehe nicht eher, als bis ich aus diesem Schreckenszustand heraus bin. Ich muß endlich eine definitive Antwort haben!«
Er setzte sich wieder neben sie.
»Ich heirate dich nie!« schrie sie ihm in die Ohren. »Da hast du deine definitive Antwort!«
»Bitte, lieber Heinz, Ihre Milch …« Frau Quaas war völlig verzagt.
»Ich sage es ja«, sagte er kopfnickend. »Sie ist sich noch nicht klar. Sie muß Bedenkzeit haben …«
»Bitte, Heinz, die Milch …«
»Gehst du jetzt, Heinz, oder gehst du nicht?!« Jetzt war es bei ihr zu Ende mit der Geduld. Zornflammend stand sie vor ihm.
»Wenn du es dir in Ruhe überlegen wolltest«, bat er ängstlich. »Du bist jetzt so erregt, Irma …«
»Du sollst machen, daß du zu deiner Milch kommst! Du regst Mutter bloß auf!«
»Es ist nur ein halber Liter«, sagte er entschuldigend. »Bisich hin bin, ist sie längst ausgekocht. Ich warte doch lieber hier.«
»Du sollst unter allen Umständen gehen!«
»Und dann«, sagte er reuig, »finde ich Lügen häßlich. Ich habe nämlich gar keine Milch auf dem Gas, Irma! Und das Gas brennt auch nicht, sondern …«
Batsch! Da hatte er seine Ohrfeige. Batsch! Batsch! Batsch! Drei mehr, als vereinbart!
»Da! Da! Da! Du elender Lügner, uns so zu quälen! Nichts als quälen kannst du!«
Aber er hielt sie schon im Arm. »Ach, Irma«, sagte er, »Gott sei Dank, daß du mich endlich geohrfeigt hast! Das hat dir doch fünf Jahre auf der Seele gebrannt …«
»Laß mich los!« sagte sie schwach. »Du sollst mich loslassen! Ich mag dich nicht noch mal schlagen …«
»Nein, jetzt möchtest du mich …«
Sie machte verzweifelte Anstrengungen, sich zu befreien. Dann rief sie ungeduldig: »Mutter, hörst du denn nicht, daß jemand im Laden ist! Sieh doch im Laden nach!«
Und kaum hatte sich die Tür hinter der verschüchterten alten Frau geschlossen, die überhaupt nicht verstand, was eigentlich los war, die weder ihren Laden noch das Geld, noch ihre Tochter, noch die Sache mit der Milch auf dem Gas, noch die ganze Welt verstand – kaum also waren die beiden allein, da sagte Irma: »Hör zu, Heinz. Einmal habe ich dir – das durchgelassen. Aber nie wieder, verstehst du! Nie wieder! So was von Angst und Not will ich nicht noch einmal erleben! Verstanden!«
»Jawohl!«
»Gut – und so ist es denn für ewig vergeben und vergessen. Jetzt darfst du mir einen Kuß geben, Heinz!«
Siebentes Kapitel
Wer Arbeit kennt und da nicht rennt
1
Sie hatten mit Geldzählmaschinen gearbeitet und mit Geldbündelmaschinen, sie hatten Überstunden im Geldzählen gemacht, und es hatte Virtuosen im Geldzählen gegeben, die sich während des Geldzählens unterhalten konnten: Ihre Finger zählten weiter, im Kopf ging ein Nummernwerk und zählte bis hundert – und dabei sagten sie: »Lausig kalt heute, was? – Na ja, habe die ganze Nacht gebummelt, scharfe Sache! Vielleicht friere ich darum so!« Wobei sie unfehlbar richtig gezählt hatten und ihren Pack Millionen-oder Milliardenscheine bündelten. Keine Kasse, keine Stahlkammer hatte diese Geldmengen mehr fassen können, es war große Nachfrage nach Waschkörben gewesen. Waschkörbe erwiesen sich als höchst geeignet für
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