Der eiserne Gustav
weißt gar nicht, wie verrückt schon alle bei uns auf der Bank sind. An den Schaltern sind sie verrückt, bei den Effekten sind sie verrückt, bei den Devisen sind sie am verrücktesten – aber noch verrückter sind sie im Direktorium!«
»Es muß ja nun bald Ordnung kommen«, meinte Tutti tröstend. »So geht es nicht mehr weiter.«
»Ja, und was dann? Dann hat kein Mensch Geld mehr! Die meisten haben doch alles verloren!«
»Du meinst wegen der Banken?«
»Auch!«
»Ach, die Banken werden doch immer zu tun haben, Heinz. Und du wirst immer Arbeit haben – so tüchtig wie du bist, Heinz!«
Er lächelte schwach im Dunkeln.
»Du hast es jetzt doch auch leichter, Heinz! Wo du uns los bist!«
»Natürlich. Nur, du weißt ja …«
»Die Wohnung behältst du unter allen Umständen, Heinz!« sagte sie eifrig. »Gib bloß die Wohnung nicht auf! Du hast es nötig, in ein möbliertes Zimmer zu ziehen …!«
»Nein, nein«, sagte er. »Die behalte ich schon wegen deiner Möbel …«
»Quatsch, das sind jetzt deine Möbel, Heinz. Und dieMöbel sind auch egal. Die Hauptsache ist, ihr habt eine Wohnung …«
»Aber sie will doch nicht, Tutti! Sie will partout nicht.«
»Sie wird schon nachgeben.«
»Nein, nein. Sie hat Angst. Sie hat richtige Angst, ich laufe ihr wieder weg …«
»So ein Unsinn! Du läufst keinem Menschen weg! Mir bist du auch nicht weggelaufen …«
»Ihr bin ich aber doch mal weggelaufen …«
»Ach was! Damals warst du noch ein Junge …«
»Für sie nicht. Für Irma nicht.«
Wieder schwiegen sie.
Dann sagte Tutti, plötzlich aufstehend: »Es ist wirklich kalt. Komm, Heinz, laufen wir noch ein Stück am Strand. Und das sage ich dir: daß du mir die Wohnung nicht aufgibst! Wenn du die Wohnung hast, bist du eine richtige Partie, und das wird sie auch einsehen!«
16
Und nun war er wieder daheim in seiner Wohnung. Er ging hin und her, heizte, öffnete das Fenster, ließ ein bißchen von der trüben, feuchten Luft herein, legte die Betten aus, überlegte, wie er die Möbel stellen sollte; die Kinderbetten konnten auf den Boden …
Die Sachen der Kinder hingen nicht mehr an der Wand, die Schränke und Fächer waren meist leer. Darum hallte es so, wenn er hin und her ging. Es hallte leer wider, alles war leer geworden, nicht nur die Fächer, nicht nur die Wohnung, sein Leben war leer geworden …
Die Jungen würden sich schon eingewöhnen auf der Insel, und für Tutti war es wirklich Heimkommen gewesen. Aber er würde sich nie eingewöhnen in der leeren Wohnung. Er dachte daran, wie es sein würde von jetzt an, wenn er nach Haus kam von der Bank: Niemand erwartete ihn in derWohnung. Er würde heizen müssen, aufräumen, kochen – und alles bloß für sich allein!
Er dachte daran, wie ihm das geholfen hatte in all den schrecklichen Jahren, die hinter ihm lagen, daß er für jemanden zu sorgen gehabt hatte, gleich für drei! Das hatte ihm über Tinette fortgeholfen, das hatte es ihm aber auch leichter gemacht, unversehrt durch die Schreckensjahre der Inflation zu kommen. Er hatte immer vom einen Tag auf den nächsten sorgen müssen, kleine Ziele hatte es gegeben: ein neuer Anzug für Gustav, die Bestrahlungen für Otto, der Zahnarzt für Tutti … Das waren seine Extratouren gewesen, neben den täglichen Pflichttouren: Miete, Brot, Gasmann … Anfang der Zwanzig hatte er schon Familienvater sein müssen: Oft war das schwer gewesen. Er hatte nicht wie andere in Cafés gehen können, auf Tanzdielen tanzen, in Kinos sitzen. Schwer war es oft gewesen, aber immer gut!
Wie oft hatten seine Kollegen über ihn gelacht. »Du bist ja doof auf beiden Backen, Hackendahl! Sich mit zwei Gören zu behängen – wozu ist denn die Wohlfahrt da?!«
Ja, sicher war er doof, der ganze Heinz Hackendahl war doof – für diese Menschen. Aber er überdauerte sie in all seiner sturen Doofheit, überdauerte sie mit ihren kleinen schalen Genüssen. Er hatte etwas in sich und um sich, eine Aufgabe …
»Wenn wir man durchkommen«, sagten sie, »wie wir durchkommen, ist ja egal.« Aber es war keineswegs egal, das Wie, bei Tanzmädchen und Kokain kam man eben nicht durch, bei zwei Gören kam man durch. Professor Degener, ein weithin unbekannter Mann, hatte richtig geraten, als er geraten hatte: »Die kleine Aufgabe, Hackendahl. Die Zelle in Ordnung bringen; ohne die gesunde Zelle kann der ganze Körper nicht in Ordnung sein!«
Richtig der Mann! Bravo der Mann! Man mußte wieder einmal nach ihm sehen. Vielleicht
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