Der eiserne Gustav
Verbrecher. Erleichtert stellte er fest, daß Herr Hoppe nichts an seinen Lebensgewohnheiten änderte. Er trug dieselben Anzüge wie bisher und rauchte die gleiche Zigarre. Er roch nicht nach Alkohol, er verschwand nicht in der Mittagsstunde zu einem solennen Börsenfrühstück. Pünktlich alle Morgen um neun Uhr, ein lästiges Muster für alle unpünktlichen Angestellten, erschien Doktor Hoppe auf seiner Bank. Keine verführerische Frauenstimme verlangte ihn je privat am Apparat.
Nein, Heinz Hackendahl fand nichts Auffälliges, nichts Verschwenderisches, gar nichts Verruchtes an diesem semmelblonden Herrn Doktor Hoppe. Und auch Erich Menz, mit dem er sich manchmal flüsternd über seine Zweifel unterhielt, hatte nichts gefunden. Erich Menz neigte jetzt dazu, die Dinge laufen zu lassen, wie sie liefen. »Froh, daß du so ’nen Druckposten hast! Stempeln – ei wei!«
Aber da war eine Stimme in ihm, die ließ Heinz keine Ruhe. Es war eine höchst lästige Stimme, es wäre ihm viel lieber gewesen, sie hätte geschwiegen. Es wäre bequemer gewesen. Es war dieselbe Stimme, die ihn nicht Tinettens Verführung hatte nachgeben lassen, die ihn gezwungen hatte, doch wieder zu dem Papiergeschäft der Witwe Quaas zu gehen, bis er seinen Frieden mit Irma gemacht hatte. In einer Zeit der Selbstsucht, der Entgötterung, der Gewissenlosigkeit war es die Stimme des Gewissens, etwas Gebieterisches in einem einzelnen jungen Mann, das ihm befahl, nicht ruhig zu sein, sich nicht satt machen zu lassen, ohne zu fragen, woher das Essen kam.
Dann kam ein Nachmittag, an dem Herr Doktor Hoppe ganz verändert schien. Ruhelos geisterte er durch seine Bank, hörte nicht, was man ihn fragte, verschwand eiligst in seinem Allerheiligsten, um sofort wieder ohne sichtbaren Anlaß eiligst aufzutauchen. Und war aufgeräumt, lärmend,faßte jeden an der Rockklappe, prustete jedem sein Haha ins Gesicht. Und war schon wieder finster, wortkarg, fast böse. Man hätte denken können, der Chef hätte einen gehoben, aber nein, das war es nicht.
»Ich nehme heute keine Zahlungen an!« schrie er plötzlich. »Meine Herren, weisen Sie die Kundschaft zurück! Ich will kein Geld.«
Die Angestellten starrten sich verblüfft an.
»Aber, was sollen wir den Kunden sagen?« flüsterte einer.
»Ganz egal, was Sie ihnen sagen!« schrie Doktor Hoppe. »Ich habe es satt! Ich will kein Geld mehr! Sagen Sie ihnen«, sagte er plötzlich ruhiger, »daß wir im Augenblick keine gewinnbringende Anlage hätten. Vielleicht morgen …«
Und Herr Doktor Hoppe verschwand in seinem Allerheiligsten.
»Verrückt geworden …«, flüsterte Erich Menz.
Zweifelnd schüttelte Heinz Hackendahl den Kopf. Und noch, als er ihn schüttelte, sah er einen Mann durch die Drehtüre hereinkommen, einen Herrn. Heinz Hackendahl duckte den Kopf, verschwand fast ganz hinter seinem Pult …
Der Herr sprach leise mit einem Kollegen an der Schranke, der sah zweifelnd nach der Tür des Chefbüros. Der Herr flüsterte etwas Beruhigendes, der Kollege ließ den Herrn durch in das Allerheiligste …
Heinz Hackendahl, wie gesagt, hatte sich versteckt. Es wäre ihm nicht angenehm gewesen, wenn sein Bruder Erich ihn gesehen hätte, Erich, bleich, aufgeschwemmt, fett geworden, mit dünnem Haar, aber sehr elegant, fast übertrieben elegant, mit einem Zylinderhut …
Nach einer Viertelstunde geleitete Herr Doktor Hoppe seinen Besucher persönlich hinaus; Erich trug jetzt eine der Hoppeschen Aktentaschen.
Von der Tür zurückkommend, sprach Herr Hoppe heiter: »Ich habe eben die besten Nachrichten bekommen! Drei neue Bohrungen sind fündig geworden. Meine Herren, wir nehmen wieder Einlagen an!«
9
Von dem Augenblick an, da Heinz Hackendahl seinen Bruder Erich in der Schalterhalle der Bank gesehen hatte, da er ihn mit einer Aktentasche des Chefs hatte davongehen sehen, war aus seinem Verdacht fast eine Gewißheit geworden: Die Geschäfte des Bankhauses Hoppe & Cie. waren schlecht! Erich beteiligte sich an ihnen, und bisher hatte er Erich nur an üblen Unternehmungen beteiligt gesehen! Die Geschäfte mußten schlecht sein, denn sein Bruder machte mit …
Mit Erich Menz konnte er hierüber nicht sprechen, Erich Menz brauchte nicht zu wissen, daß er solch einen Bruder hatte. Und mit Irma, die von Erich bestimmt nicht besser dachte als er, mochte er nicht darüber reden: Es waren kaum noch zwei Wochen bis zur Geburt.
Er stand allein, hatte allein zu entscheiden, allein die Verantwortung zu tragen. Was
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