Der eiserne Gustav
Sache – paßt gut in die allgemeine Scheiße.«
Und Hoffmann berichtete, daß Herr Professor Degener, ein Mann schließlich, der allen demonstrativen Bekundungen seiner Gefühle abhold war, immerhin bei gebotenem Anlaßauf dem Balkon seiner Wohnung eine schwarzweißrote Fahne angebracht hatte. Dieser Balkon nun grenzte, wie das in der Großstadt einmal ist, an einen anderen Balkon, dessen Besitzer nicht für Schwarzweißrot war, sondern die rote Fahne vorzog …
Da sich der Reichstag ebenfalls über die Frage nach der Farbe des deutschen Flaggentuches veruneinigte, eine Regierung darüber gestürzt wurde und der alte Herr von Hindenburg persönlich eingriff, aber erfolglos, denn die Gemüter waren bereits zu sehr erbittert – da also das ganze deutsche Volk seinen Flaggenstreit hatte, sah der Balkonnachbar nicht ein, warum er nicht auch den seinen haben sollte: Er nahm die schwarzweißrote Fahne des Professors durch Übergriff auf den fremden Balkon an sich und zerknickte sie.
Der Professor, mehr ein stiller Gelehrter, doch nicht ohne Feuergeist, hatte Flaggen bis dato nicht für wichtig erachtet, aber Flaggenschändung erachtete er für überaus wichtig. So ersetzte er die zerbrochene Fahne durch eine neue und legte sich auf die Lauer …
Aber ein alter Lehrer hat darin nichts vor seinem jüngsten Schüler voraus: Er muß so pünktlich in der Schule sein wie er. Als der Professor am Mittag aus der Schule kam, mußte er feststellen, daß diesmal nicht nur seine schwarzweißrote Fahne verschwunden, sondern daß statt ihrer auf seinem Balkon eine rote erschienen war.
Professor Degener war ein humanistisch gebildeter Mann und daher der Meinung, auch im schlechtesten Menschen stecke etwas Gutes, das man mit Milde hervorlocken müsse.
Sanft rollte der Lehrer die fremde Fahne zusammen, erlaubte sich einen Übergriff durch Zurückstellen der Fahne auf den Nachbarbalkon und machte sich persönlich auf den Weg, ein ihm gemäßes Flaggentuch zu kaufen. So weit war er inzwischen aber doch warm geworden, daß er eine größere und stabilere Fahne als bisher kaufte. Diese neue war nicht so ohne weiteres zu zerknicken.
Als er zurückkam, wehte wiederum die rote Fahne vorseiner Zinne, diesmal aber stand auch der Nachbar auf seinen Balkon und sah aus finsterem Auge auf den Gelehrten. Der hatte sich bisher wenig Gedanken über den Täter gemacht; nun sah er ihn, recht groß, recht massig, mit dunkler Augen …
»Entschuldigen«, sprach der Professor sanft und fing an die Bindfäden, die die Fahne am Balkongitter hielten, zu lösen.
»Die Fahne bleibt!« sprach der Nachbar drohend.
»Keineswegs!« antwortete der Professor und knotete weiter. »Ihre Gesinnung ist nicht meine Gesinnung, daher wäre es eine Lüge …«
»Die Pfoten weg!« befahl der andere. »Ich lasse mir mit Ihrem Lappen nicht die Fassade schänden!«
»Sie werden zugeben müssen«, sprach der Professor direkter, »daß eine aufgezwungene Gesinnung nur eine Sklavengesinnung sein kann. Grade wenn Ihnen Ihre Fahne lieb ist …«
»Ihr Lappen kotzt mich an«, sprach der Dicke. »Willem sein Lappen!« Und heiser fing er an zu singen: »O Tannebaum, o Tannebaum, der Kaiser hat in’n Sack gehaun!«
Der Professor hatte die Fahne gelöst, er hielt sie in der Hand, er sprach erregter: »Es ist unwürdig, eines Mannes zu spotten, der wohl schwach, nie aber schlecht war. Ich bitte Sie …«
»Laß deinen Lappen beiseite, Männeken!« sprach der Dicke drohend. »Ick werde dir zeigen, wer schwach ist …«
Der Professor entfaltete unbeirrt die eigene Fahne. Der Dicke langte von Zeit zu Zeit über die Trennwand und vereitelte durch kleine Stöße das Anbinden. Professor Degener ging zwei Schritte weiter und knotete außer Reichweite. Der Feind nahm die zusammengerollte eigene Fahne und stieß mit ihr nach dem anderen …
»Lassen Sie das …«, sprach der Professor und ging bis an das Ende seines Balkons …
»Die Fahne bleibt weg!« brüllte der Dicke drohend, aber es war nur leere Drohung: Der Feind war außer Reichweite.
Professor Degener, der (irrtümlich) glaubte, der Flaggenkonflikt sei durch Ausweichen gelöst, knotete still weiter. (Einem ähnlichen Irrtum waren die Herren im Reichstag verfallen, als sie die schwarzweißrote Gösch erfunden hatten.) »Du nimmst den Rotzlappen weg!« brüllte der Dicke, aber stumm knotete der Professor.
Jetzt war der Feind in Siedehitze. Zuerst machte er Anstalten, von einem Balkon zum anderen zu klettern, aber ein
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