Der eiserne Gustav
Blick in die Tiefe erhielt ihn dem Leben. Er nahm einen Blumentopf und warf …
»Lassen Sie diese Ungehörigkeiten!« sprach der Professor, sich umdrehend. Ihm war noch nicht klargeworden, daß ein Blumentopf etwas anderes ist als ein Schneeball, daß ein frecher Schüler ungefährlicher ist als ein erhitzter Parteimann.
Der zweite Blumentopf fuhr in das sich umwendende Gesicht und zerbrach. Der Professor stieß einen O-Laut aus, nicht so sehr aus körperlichem Schmerz, als aus Trauer über seine Menschen. Dann fiel er rücklings …
Der Gegner starrte finster auf den gefallenen Mann, murrte: »Das wird ihn lehren, seinen Drecklappen woandershin zu hängen!« und verschwand …
»Ist er denn wenigstens eingelocht?« fragte Heinz erbittert.
»I wo, der Professor stellt doch keinen Strafantrag. Nein, er hatte alles dicke, er wollte nicht mehr, hat sich auch gleich pensionieren lassen. Man kann es schon verstehen, wenn einer die Lust verliert …«
»Ja, er ist alt. Er hat was gehabt im Leben – aber wir …?«
»Ja, wir … haben auch die Lust verloren, was? Aber schon vorher!«
»Schon vorher, jawohl!«
»Denke dir das bloß mal aus, Hackendahl, ich bin jetzt siebenundzwanzig, kriege schon Bauch und Glatze – und habe noch keinen Pfennig Geld verdient. Doch halt, daß ich nicht lüge: mit siebzehn und achtzehn fünf Mark die Woche für Nachhilfestunden. Aber so gut ist es mir seitdem nicht wieder gegangen.«
»Es mag ja noch mal anders kommen, Hoffmann.«
»Da lauer man drauf! Wenn wir’s nicht anders kommen machen, Hackendahl!«
»Aber wie?«
»Ja, mein Sohn, das ist die Frage, wie?«
13
Bei Heinz Hackendahl wechselten Zeiten tiefster Niedergeschlagenheit mit Perioden stärkster Anspannung.
War er niedergeschlagen, so wurde ihm sogar der Weg zur Stempelstelle zu einer fast unmöglichen Aufgabe. Auf diesem Wege begegnete er den Glücklichen, die zur Arbeit gingen, die Aktentasche mit dem Frühstück unter dem Arm Sie sahen ihn gedankenlos an, oder sie fanden vielleicht seinen Mantel reichlich schäbig.
Dann starrte er verbissen, sie waren so viel jünger als er, Jahr für Jahr kam eine neue Generation in die Arbeit – und eine tiefe, peinigende Angst überfiel ihn, daß er alt wurde, immer älter, bis er zu jeder Arbeit untauglich sein würde, ehe er noch recht gearbeitet hatte! Verbraucht, von Arbeitslosigkeit verbraucht!
Dann kam er wieder auf die Stempelstelle, reihte sich ein in die Schlange der anderen, einer von vielen, einer von immer mehr Arbeitslosen.
Nun kannte er schon bestimmte Gestalten, fürchtete die Nachbarschaft mancher, andere suchte er. Einer war da, sicher ein ganz dummer Kerl, der immer strahlend sagte: »Na, Kolleje, ooch wieder mal hier? Na, laß man, die längste Zeit ham wir hier nu jestanden!«
Das sagte er, Woche für Woche, Monat für Monat, immer mit demselben freundlichen, ein wenig dämlichen Gesicht, nicht zu erschüttern in seiner Hoffnung.
Dann gab es einen anderen, Marwede hieß er, neben dem mochte Heinz nicht stehen …
»Tag, Kollege! – Der Kleine, weißt du, der Pries, der immer hierherkam, war früher bei der BEWAG – du kennst ihn doch …? Der ist nun auch hops. Lysol getrunken. Haben ihn ins Krankenhaus gebracht, war aber schon alles verbrannt … Jawoll, Kollege, der hat es ausgestanden, wir haben es noch vor uns …«
Marwede sah Heinz Hackendahl an. »Peinlich zu hören, was? Aber is doch so! Selbstmord oder Verbrechen – das sind unsere Auswege. Sonst nichts!«
»Die Wirtschaft kann auch wieder in Gang kommen«, meinte Heinz.
»Aber wieso denn? Von was denn? Sag mir das mal! Und selbst wenn – uns brauchen sie dann nicht mehr! Dann gibt’s so viel Jüngere! Wir können ja gar nicht mehr arbeiten – ich hab’s neulich versucht. Geht nicht, nach zwei Stunden wurde mir übel.«
»Du bist eben unterernährt.«
»Und du denkst, das ist bei uns wie bei einem Dampfkessel, eine Schippe Kohlen mehr, eine Fettstulle mehr, dann funkt das Köpfchen wieder? Aber nee, das Köpfchen will nicht mehr, das ist eingeschlafen, das geht uns nicht wieder auf den Leim. Das will seine Ruhe haben. Selbstmord oder Verbrechen, Kollege, sonst nichts!«
»Vorläufig kannst du noch stempeln«, sagte Heinz, unnötig wütend.
»Ja, vorläufig. Du weißt nicht, Kollege, wie mir manchmal morgens ist. Da lieg ich denn auf der Falle, ausgezogen habe ich mich abends sicherheitshalber erst gar nicht, weil man doch nie weiß, ob man morgens Lust hat, sich wieder
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