Der eiserne Gustav
ärgern. Dies ist wiederum sie: Sie stellt dem Bruder kostenlos einen Abziehapparat zur Verfügung, ein kompliziertes Ding mit Walzen und Rädern, das natürlich nur eine bestimmte Lebensdauer hat und durch jede Benutzung seinem Ende näher gebracht wird – also, wie gesagt, kostenlos, trotz Farbverbrauchs und Abnutzung. Aber dafür kann der Bruder am Abend ein bißchen in die Geschäftsbücher sehen, drei oder vier Stunden.
Ist sie geizig? Vielleicht ist sie nur genau. Sie will nichts verschenken. Ihr ist im Leben auch nichts geschenkt worden, nein, sie ist gegen die Schenkerei.
Im Anfang, beim ersten Male, hat Heinz noch gedacht, sie würde ihm am Schluß solcher Steuerberatung geschwisterlich ein Fünfmarkstück in die Hand drücken. (Und er war entschlossen gewesen, dies Fünfmarkstück zurückzuweisen.) Aber sie hatte gesagt: »Danke schön, Heinz. Du weißt,ich darf dir kein Geld geben. Da du Erwerbslosenunterstützung erhältst, wäre das verbotene Schwarzarbeit.«
Komisch, komisch! Früher war sie spitz, sauer und flachbrüstig gewesen. Rund und fett war sie aus dem Feld gekommen, aber innerlich war sie genauso spitz und sauer geblieben, wie sie von Jugend an gewesen …
Später kommt sie noch einmal herein. Diesmal läßt sie sich Zeit, sie bleibt nicht nur zwischen Tür und Angel. Sie setzt sich in den Schreibtischstuhl, nimmt eine von den dort hingestellten Zigaretten (ohne natürlich eine Bemerkung darüber zu machen, daß er keine genommen hat) und raucht ihm was vor …
Sie sieht ihm zu, schließlich fängt sie zu sprechen an, sie klagt über Vater. Sie hat so viel für Vater getan, hat ihn neu eingekleidet, einen Plattenwagen gekauft, auch einen Halb-Landauer, sie ist sogar bereit, ein neues Pferd zu kaufen. »Aber Vater ist so widerborstig! Du sollst ja Einfluß auf ihn haben, wie mir Mutter erzählt hat. Sprich du doch mal mit ihm, Heinz …«
»Wieso ist er widerborstig?«
»Einmal behandelt er mir die Patienten nicht nett genug … Gott, es sind eben Patienten, kranke Leute, und nebenbei fast immer sehr wohlhabende Leute … Da muß man sich eben auf ihre Wünsche einstellen, auch wenn sie ein bißchen quengelig sind. Neulich hat er doch wahrhaftig Herrn Fabrikbesitzer Otto, du weißt doch, von den großen Akkumulatorenwerken, mitten auf der Straße angeschnauzt, er solle machen, daß er aus seinem Wagen komme!«
»Vater ist eben alt!«
»Er sagt doch immer, daß er eisern ist. Soll er es mal zeigen! Natürlich ist Herr Otto quengelig, aber ich komme immer mit ihm zurecht. Und dann das mit dem Geld. Vater findet stets, ich zahle ihm nicht genug. Er sagt, mit seiner Droschke verdient er mehr. Aber er muß doch bedenken, daß ich alles angeschafft habe, Wagen und Kleidung, er ist doch gewissermaßen nur Lohnkutscher. Ich habe mich beiMutter erkundigt, was sie in der Woche brauchen, das bekommt er. Er soll ja schließlich nicht reich werden mit dieser Fahrerei.«
Sie betrachtet sinnend den Bruder. Dann steht sie auf, die Zigarette ist aufgeraucht.
»Also schön, du redest mal mit Vater darüber. Er muß einsehen, daß ich zu einem kleinen, festen Wochenlohn Dutzende, Hunderte bekommen kann. Und daß es für mich nicht übermäßig angenehm ist, wenn er allen Patienten erzählt, er ist der älteste Droschkenkutscher von Berlin, der eiserne Gustav, und die Oberin ist seine Tochter.«
Heinz dreht eifrig die Kurbel seiner Maschine und gibt der Schwester keine Antwort. Sie scheint auch keine zu erwarten. Sie hat ihm gesagt, was sie sagen wollte, und nun geht sie …
Heinz wird mit Vater natürlich nicht hierüber sprechen. Wenn Sophie Streit mit Vater anfangen will, so ist er dazu nicht nötig. Das Leben ist auch ohnedies kompliziert genug.
Als Heinz genug Abzüge fertig hat, setzt er sich an den Schreibtisch und fängt mit den Bewerbungen an. Eigentlich hat er das zu Haus tun wollen, aber da er am Abend noch die Bücher für Sophie durchsehen soll, lohnt es den Heimweg nicht. Hoffentlich macht sich Irma keine Gedanken über sein Ausbleiben.
Er fängt mit seiner unpersönlichen, schwungvollen Buchhalterschrift an: »Sehr geehrte Firma!« Er hat sich fünf oder sechs Inserate notiert, die den Vermerk tragen: »Nur schriftliche Bewerbungen« … Wenn er sich daranhält und Sophie nicht zu oft stört, muß das bis zum Abend zu schaffen sein. Dann wird er die Briefe auf dem Heimweg in den Nachtbriefkasten stecken. Vielleicht hat er dann schon übermorgen die Aufforderung, sich persönlich
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