Der eiserne Gustav
rechnen, soviel man wollte. Langsam erst, dann immer schneller ging der Haushalt zurück. Die Hemden wurden morsch und die Mäntel dünn. Zerbrochenes Geschirr wurde nicht mehr ersetzt. Der Gasmann war eine Angst, und der Mann, der den elektrischen Zähler ablas, ein Schrecken. Langsam, langsam kamen sie mit der Miete in Rückstand. Erst blieb ein kleiner Rest, der beim nächsten Zahltag ausgeglichen wurde. Dann wurde der Rest nicht mehr ausgeglichen, und bald war man einen ganzen Monat im Rückstand.
Der Hausverwalter grüßte kaum noch, später kamen Briefe von der Hausverwaltung. Zuerst einfache, höfliche, dann eingeschriebene, strenge, unhöfliche, grobe …
»Es hilft eben nichts: Wir wohnen zu teuer«, sagte Irma immer wieder, probeweise. »Es ist die Miete, die uns so reinreißt!«
»Warte nur«, sagte er. »Wir wollen nicht vorschnell sein. Vielleicht finde ich in allernächster Zeit was.«
Dann, vier Wochen später, wiederholte Irma ihren Spruch von der zu teuren Miete.
»Laß die Hausverwaltung doch schreiben!« sagte Heinzärgerlich. »Die können uns den Buckel runterrutschen. Was die mir schreiben, ist mir so egal!«
Aber es war ihm gar nicht egal. Er litt darunter, daß er seine Verpflichtungen nicht erfüllen konnte, wie man so schön sagt. Es war ihm kein Trost, daß man ihm gegenüber die Verpflichtung nicht erfüllte, ihm nämlich nie eine Chance auf Arbeit gab.
Er gab sich einen letzten Stoß und nahm eine Stadtvertretung. Wie Hunderte seiner Leidensgenossen lief er mit einem Köfferchen herum. In dem Köfferchen waren eine Luftpumpe und eine Dose flüssiges Bohnerwachs sowie ein paar Bürsten. Und nun spritzte er jeder Hausfrau, die sich das gefallen ließ. Wachs auf die Dielen und glättete es schönstens …
Ach, es waren nur wenige, die sich das gefallen ließen! Und von den wenigen bekamen noch weniger Lust, sich seinen Apparat zu kaufen. Und von den wenigen, die Lust bekamen, hatten nur ganz wenige Geld, das Zeugs zu bezahlen – nein, sie lohnte sich nicht, diese Lauferei!
»Laß es doch!« sagte Irma. »Du läufst dir mehr von den Schuhsohlen ab, als der Kram je einbringen kann!«
Und er ließ es. Er ließ es gerne. Er eignete sich nicht zum Verkäufer. Es widerstrebte ihm, einer Frau eine Sache aufzureden, die sie nicht brauchte, einer Frau, die mit Geld bestimmt ebenso knapp war wie Irma. Oft bekam er wegen eines verkauften Apparates Gewissensbisse.
»Was meinst du, wollen wir nicht doch die Wohnung aufgeben …?«
»Meinetwegen – wenn du meinst.«
»Du weißt doch, die Miete …«
»Ja doch! Ich sage doch ja!«
»Es hilft ja nichts, Heinz. Und für Mutter ist es auch ein Opfer.«
Natürlich, auch für Frau Quaas war es ein Opfer. Klein, kümmerlich und sorgenvoll nahm sie die Familie bei sich auf. Die Möbel der jungen Hackendahls verstopften ihre nicht große Stube, das meiste kam aber auf den Boden …
»Jetzt werden wir reichen. Wir sparen nicht nur die Miete – auch mit dem Essen ist es viel einfacher, wo ich für Mutter mit koche. Sie zahlt uns doch einen Zuschuß. Jetzt können wir endlich ein bißchen anschaffen.«
»Zuerst wird die rückständige Miete bezahlt. Ich will keine Schulden haben – grade bei solchen nicht, die so tun, als wäre man ein Lump, bloß weil man keine Arbeit kriegt.«
Ja, nun wurde es ein bißchen leichter für Hackendahls. Irma half im Geschäft, die Mutter half im Hause, es ging wechselseitig hin und her. Man saß ein wenig eng aufeinander, Mutter und Tochter schliefen mit dem Jungen in der einen Stube, er war in die Küche verbannt …
Es war natürlich eine verkehrte Welt: eine Ehe ohne Ehe, der einfachste Kuß geniert durch die Mutter. Die Frauen arbeitend, der Mann zur Untätigkeit verdammt … Völlig verkehrte Welt, aber kaum verkehrter als die Welt draußen, die große Welt, die politische Welt, in der sie gerade mit Geschrei (und viel Streit) den Dawesplan starteten, eine Einrichtung, durch die dem Schuldner vom Gläubiger Geld geliehen wurde, damit der mittellose Schuldner nun besser seine Schulden zahlen könne …
Es gab natürlich manche Erleichterung, manchen Lichtblick: Der Vater, der alte Hackendahl, hielt mit seinem Wagen vor dem Laden, der Junge Otto wurde hineingesetzt, der Vater Heinz setzte sich dazu.
Nun trabte Blücher los, der eiserne Gustav knallte mit der Peitsche, nicht weil dies nötig war, sondern weil es den Jungen freute, und sie fuhren drei, vier Straßenecken weit, begleiteten den Großvater auf
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