Der eiserne Gustav
vorzustellen …
Als er daran denkt, bekommt seine Hand mehr Schwung, fließender preist er seine Vorzüge – immer eine etwa schwierige Sache. Man kann da leicht zuviel tun, Bescheidenheit ist aber auch dumm. Dann klingt so ein Bewerbungsbrief gleich nach gar nichts … Etwas von dem Morgenschwung ist in ihnzurückgekehrt, die Hoffnung regt sich wieder, beim Aufstehen hat er gedacht: Heute wird es klappen! Jetzt denkt er: Übermorgen klappt es – vielleicht!
Es ist ein bißchen weniger geworden seit dem Morgen aber es ist doch Hoffnung, und mit auch nur ein wenig Hoffnung ist das Leben hundertmal leichter. Dies bißchen macht einen gewaltigen Unterschied aus, ohne dies bißchen ist alles pure Verzweiflung, aber mit ihm ist das Leben recht erträglich.
Da sitzt er und schreibt. Für jeden Bewerbungsbrief nimmt er eine frische Feder. Er pustet über das Papier, ein Stäubchen kann die Gleichmäßigkeit der Schrift stören. Er benutzt ein Linienblatt. Ehe er zu schreiben beginnt, gruppiert er den Stoff im Kopf nach Absätzen, überlegt, wie diese Absätze auf der Briefseite zu verteilen sind: Ein Bewerbungsschreiben darf nicht zu voll aussehen, es darf aber auch nicht an Schwindsucht leiden. Was er noch an Schaffensfreude besitzt, steckt er in diese Bewerbungsbriefe.
Er hat einen Kopf mit Verstand und Gedächtnis. Sein Verstand müßte ihm sagen, daß diese Bewerbungen zwecklos sind. Bei zwei Millionen Arbeitslosen sind die Chancen gegen ihn ungeheuer. Auf der Stempelstelle erzählen sie, daß auf ein einziges Inserat oft zwei-, dreitausend Angebote eingehen, Angebote darunter, die für ein halbes, für ein viertel Tarifgehalt zu arbeiten versprechen, für ein Trinkgeld! Die Aussichten sind gleich Null, die Aussichten lohnen nicht das Porto, seine Arbeitsaussichten lohnen weder Schwung noch neue Feder, noch Papier. Wenn er schriebe: Liebe Firma, ich bin der Mai und mache alles neu! – sein Brief hätte erheblich höhere Aussicht auf Beachtung.
Seine Erinnerung aber müßte ihm sagen, daß er schon Dutzende, schon Hunderte solcher Bewerbungsschreiben losgelassen hat. Was ist ihr Erfolg gewesen? Seine Erinnerung sagt untrüglich: Auf Hunderte von Briefen hat er nie eine Antwort bekommen. Auf zehn Briefe etwa kam der Bescheid, seine Bewerbung werde in Erwägung gezogen, er werde später Näheres hören. (Er hörte nie später Näheres.)Etwa fünfmal wurde er zur Vorstellung gebeten. (Leider inzwischen besetzt.) Aber er schreibt weiter und hofft. Früher hat man auf den Stempelstellen viel von dem Recht auf Arbeit gefaselt, das jeder Geborene hat. Aber davon wird schon lange nicht mehr gesprochen.
Jetzt besitzt er nur noch die Hoffnung auf Arbeit. Anfallweise. Dann läuft er und schreibt und bewirbt sich.
Und langsam geht die Hoffnung wieder aus ihm, und die endlose, schwere Verzweiflung beginnt neu, in der es ihm fast unmöglich wird, auch nur auf die Stempelstelle zu gehen …
14
Während dieser langen Arbeitslosigkeit lächelte Heinz Hackendahl zweimal das Glück: Zweimal fand er Arbeit. Das eine Mal wurde er aushilfsweise auf einer Bank beim Jahresabschluß beschäftigt. Das war herrlich, wieder auf einem ordentlichen Büro zu sitzen und die vertrauten Arbeiten zu tun!
Freilich waren sie nicht mehr ganz vertraut. Viel Neues war dazugekommen. Die in Leinen gebundenen Geschäftsbücher, auf deren erster Seite verschnörkelt von alters her die Worte »Mit Gott« gestanden hatten, waren nun abgeschafft. Auf einzelnen Karten wurde Buch geführt, die Buchführungsmaschine hatte ihren Einzug gehalten, es gab keine Gelegenheit mehr, auch nur in Druckschrift Gottes Erwähnung zu tun …
Das war neu für Heinz Hackendahl, neu war auch für ihn, daß er Jüngere um Rat und Auskunft fragen mußte. Als er noch in Stellung gewesen war, hatte er zu den Jüngsten gehört. Aber am erstaunlichsten war doch die Entdeckung, daß er nicht mehr stetig hintereinander arbeiten konnte. Es wurde ihm schwer, acht Stunden auf einem Stuhl zu sitzen, mit einer Arbeit vor sich, und mit nichts als dieser Arbeit vor sich. Aus den erwerbslosen Tagen steckte eine peinigende Ruhelosigkeit in ihm. Immerzu hatte er das Bedürfnis,aufzuspringen, herumzulaufen. Daß man acht Stunden lang das gleiche tun sollte, war so schwer zu lernen.
Es war in den langen letzten Monaten immer so gewesen, daß er jeden Augenblick etwas anderes hatte tun können. Er hatte Irma bei einer Arbeit geholfen, und plötzlich hatte er gesagt: »Einen Augenblick, ich
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