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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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ein paar Schritte zu fahren, sie kamen bestimmt zur rechten Zeit.
    »Ja, icke und der Blücher!« sagte der Vater strahlend und drehte sich nach ihr um.
    Wider Willen nickte sie ihm zu.
    An dem Verkehrstürmchen mitten auf dem Platz leuchtete das Licht gelb auf.
    »Jüah, Blücher!« mahnte der Vater.
    Der Rappe fing an zu traben, bog aus der Mündung der Potsdamer Straße auf den Platz ein, trabte munter im Gewühl der Autos und Autobusse, zwischen Fahrrädern und Lastwagen.
    In einer Minute würden sie in die schmale Straße am Bahnhof einbiegen.
    Und der Rappe ging langsamer, wollte stehenbleiben …
    »Jüah, Blücher, jüah!«rief der alte Hackendahl. »Mach doch los, Mensch!« Und über die Schulter besorgt zur Tochter: »Er wird doch nich …«
    »Was wird er nicht?« rief sie zornig.
    Doch schon war der Rappe stehengeblieben, ein Autowäre fast auf die Droschke aufgefahren. Der Chauffeur fing an zu schimpfen, ein Verkehrsschutzmann lief herbei, ein Knäuel bildete sich – aber unentwegt stand der Rappe in all diesem Trubel, stand und ließ sein Wasser laufen …
    Der Vater schimpfte, die Chauffeure schimpften, der Schupo schimpfte. Jemand faßte in die Zügel des Rappen und wollte ihn wenigstens an den Rand der Fahrbahn führen. Doch eisern stand der Blücher und pißte …
    Für die Oberin Sophie Hackendahl, ein unverehelichtes älteres Mädchen, war es wie einer jener schrecklichen Nacktträume, da man allein, wenig oder gar nicht bekleidet, unter Dutzenden korrekt angezogener Menschen steht …
    Sie hielt im Verkehrsgewühl des Potsdamer Platzes, ohnehin sichtbar genug als einziges Pferdefuhrwerk unter so viel Autos, hielt, alle fuhren eiligst, und dieser elende Gaul ließ sein Wasser laufen! Ihr schien, als höre sie es schon minutenlang pladdern, wenn sie seitlich schaute, sah sie es fließen, strömen … Und wenn sie um sich blickte, sah sie lachende, spöttische, wütende Gesichter – und ausgerechnet sie in ihrer Oberinnentracht als Zielscheibe aller Blicke! Aber sie war nicht wie im Traum an einer Stelle festgenagelt, nein, das war sie nicht!
    »Herr Wachtmeister!« rief sie den Schupo an. »Bitte, bringen Sie mich auf den Bürgersteig.«
    »Jewiß doch, Schwester!« sagte der Schupo. »Kommen Se man! Ick versteh, so wat muß Ihnen ja peinlich sind!«
    »Wohin willste denn, Sophie?« rief der Vater vom Bock. »Er is ja jleich fertig. Dafor kann er doch nischt. Wer muß, der muß …!«
    Sie sah die Leute lachen.
    An diesem Abend löste sie die Beziehungen zum Vater. Es tue ihr leid, aber ein so unzeitgemäßes Gefährt, eine so peinliche Lage – nein, das könne sie ihren Patienten nicht zumuten.
    »Und dir selbst nich. Und deiner Kasse ooch nich«, sprach der Vater. »Na laß man, Sophieken. Du wolltest mir ja schon lange los sind, denkste, det ha’ick nich jemerkt? Es is jut zu wissen, ob de Fische pissen. Na, laß man, ha’ick euch jroßjekricht ohne Hilfe, wer ick ooch Muttern durchfüttern ohne Hilfe. Nur denk nich, mir kannste wat vormachen. Und wenn de so jroß wirst mit deine Klinik wie de janze Charité – vor mir bleibste doch immer ’n kleenet, mieset Aas. – ’n Abend, Sophie.«
    Von da an fuhr Hackendahl wieder Droschke. Bestimmt nicht gerne, aber bei ihm war es wie beim Blücher: Wer muß, der muß! Und dann bekam er auf diese Weise Gelegenheit, die Reiterin am Wannsee-Bahnhof zu sehen.

3

    Mit dem Droschkefahren ging es ein wenig besser als in den letzten Jahren. Plötzlich war wieder Geld unter den Leuten, sie verdienten, die Arbeitslosigkeit ging zurück. Es war der Regen der fremden Anleihen, der die Saat begoß nach langer Dürre. Sie schoß auf, wuchs gewaltig. Es fragte sich nur, wie lange die Feuchtigkeit vorhalten würde. So recht traute keiner diesem plötzlichen Wachstum. Es war wie Treibhaus, es mußte bloß ein kalter Wind kommen.
    Aber gerade, daß die Leute ihrem eigenen Glück nicht trauten, kam der Droschkenfahrerei zugute. Sie hatten es eilig, ihr Geld wieder loszuwerden. Es brannte in ihren Taschen, sie gaben es gerne wieder fort. Sie hatten Geld für einen Jux übrig. Der eiserne Gustav und sein Blücher hatten wieder zu tun, nicht übermäßig, aber es reichte.
    Und es war gut, daß die Fahrerei ohne allzuviel Mühe ging. Hackendahl hatte nach seinen Klinikfuhren nicht mehr den alten Trieb, unter allen Umständen Geld heranzuschaffen. Vielleicht war es das Alter, er saß jetzt oft dösend auf dem Bock und dachte: Wenn’s nischt wird mit ’ner Fuhre

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