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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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habe keine Rechnung mit ihm, ich schreib nicht an, Vater …«
    »Raus muß er!« sagt der Alte, steht auf und faßt den Leuchter. »Ick schimpf dir nich, Mutter. Ick schimpf ooch ihn nich, hab bloß keene Angst. Det war eenmal, det ick über so wat jeschimpft habe. Damals ha’ick noch jedacht, een schlechter Vogel, der sein eigenes Nest vollmacht. Jetzt weeß ick’s anders. Se haben mir det Nest so volljemacht, dieses, und det andere mit’s Militär, worauf ich stolz jewesen bin – ick lach bloß noch über solche Kackerei, da kiek ich überhaupt nich mehr hin, nach so was …«
    Aber er sah nicht nach Lachen aus, der Alte, wie er da stand vor dem Bett seiner Frau, den Leuchter in der Hand, sein dickes Gesicht zitterte, sein Bart zitterte …
    »Laß ihn schlafen, Vater«, bat sie, »schlag ihn bloß nicht.«
    »Sei nich doof, Mutter! Wat wer ick’n dreißigjährigen Menschen schlagen! Det hilft nu allens nich mehr. – Nee, du bleibst im Bette …«
    Er geht barfüßig über den kurzen Gang und macht die Kammertür auf. Er hebt den Leuchter, schaut und horcht. Dann geht er näher an das Bett …
    Da liegt der Sohn, der dem Vaterherzen am nächsten stand und vielleicht doch noch immer steht, liegt auf der Seite und schläft. Mutter hätte ruhig dabei bleiben können, daß es ein fremder Schlafbursche ist – am Aussehen hätte Vater ihn vielleicht nicht erkannt. Ein schwammiges, fahles Gesicht, dicke, bläuliche, körnige Tränensäcke, eine bemüht zusammengefaltete Stirne, lange häßliche Stoppeln – der Mund, halb offen, ist feucht von Speichel: ein fremdes Gesicht!
    Der Vater läßt sich nieder, er kauert sich neben den Bettrand und leuchtet das schlafende Gesicht an. Er sucht das Gesicht von ehemals, den Jungen, den er liebte, etwas, das so viel leichter war als er, etwas Bewundertes: leicht und schnell – fröhlich! Aber es ist jetzt nur trübe, dumpfe Erde, die er anleuchtet, etwas Zähes, das dem Tode, der Vergänglichkeit verhaftet ist, der Schläfer schläft, als sei er tot … Wahrscheinlich ist alles Leichte, Fröhliche längst in ihm tot …
    Der Vater richtet sich auf. Er fängt an, die Kleider des Sohnes durchzusehen, Stück für Stück. Nein, dies sind nicht die Kleider von einem, der in ein feines Hotel gehen kann. Wenn er diese Kleider nur noch zwei Monate trägt, so sind sie hinüber … Stück für Stück nachgesehen, die Schuhe angesehen, die Verbindung zwischen Oberleder und Sohle geprüft, jede Tasche revidiert – halb mechanisch.
    Der Vater seufzt, er nimmt das Licht und geht aus der Kammer. Er geht in die Stube, die Frau sitzt im Bett und starrt ihm angstvoll entgegen …
    »Mußt keene Angst haben, Mutter«, sagt er. »Er pennt noch. Jib mal dein Portemonnaie. Haste sonst noch Jeld …?«
    Er sieht seine eigenen Taschen nach, er sucht alles Geld in der Wohnung zusammen, auch das bißchen Wechselgeld, dasein Droschkenkutscher eigentlich immer bei sich haben muß. Dann kehrt er in die Kammer zurück.
    Der Sohn schläft weiter. Der Vater steckt das Geld in die Tasche des Anzugs. Dann geht er rasch an das Bett, rüttelt die Schulter des Schläfers und sagt barsch, ganz im alten Kommandoton: »Aufstehn, Erich!«
    Mit einem Ruck wird der Sohn wach. Man sieht es ordentlich, wie ihm das Kommando in die Glieder fährt; über zehn, fünfzehn Jahre fort hat der Körper dieses; Kommando nicht vergessen. Die Augen öffnen sich, blinzeln, und nun, da sie die Gestalt mit dem Lichte sehen, da der Aufwachende begreift, wer da vor ihm steht, kommt ein Ausdruck von Schrecken über dieses Gesicht, von Angst …
    Ja, jetzt sieht der Vater durch das alt gewordene Gesicht wieder das Kind. An seiner Angst erkennt er den Sohn, an der feigen, kriecherischen Angst, der Angst vor Strafe, wenn er etwas ausgefressen hatte und der Vater geriet ihm darüber.
    »Anziehen!« befiehlt der Vater.
    Er steht dabei. Der Sohn zieht sich an, nicht übermäßig eilig, man sieht schon, die Angst verfliegt: Der Sohn schämt sich nicht mehr vor dem Vater. Er ist schamlos geworden, und wer schamlos ist, wird gerne frech, wenn er sieht, der andere will ihm nichts tun.
    So dauert es nicht lange, daß der Sohn das Maul auftut. Was aber sagt er, der Liebling von ehemals? Was sagt er …?
    »Einmal«, sagt er, »hast du mich vor lauter Liebe in den Keller gesperrt, was, Vater? Und heute setzt du mich vor lauter Liebe auf die Straße, was, kannst mich gar nicht schnell genug loswerden, wie?«
    Alles an ihm hat sich vergröbert,

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