Der eiserne Gustav
heute, muß’t ooch jehn. Es is ja so lange jejangen, warum soll et nich länger jehn? Und überhaupt, wenn ick bloß will …
Damit verloren sich seine Gedanken nach Paris zu … Es war immer noch nichts Festes, noch keine Absicht, nicht einmalein Plan – es war Spielerei des Hirns, etwas für müßige Stunden, wie man sich irgend etwas ausmalt, sich sagt: Das könntest du tun, das wäre mal nett. Und es dann doch nie tut …
Muttern hatte er einmal von der Frau, die nach Berlin geritten war, erzählt und gemeint: »Det möcht ick ooch mal machen!«
»Du bist ja verrückt!« hatte Mutter nur gesagt.
»Nanu, wieso denn varrückt?! Meinste, wat so’ne Franzö’sche kann, det kann ick nich ooch?«
»Vater, in deinen Jahren! Ich glaube wirklich, bei dir piept’s!«
Er sah wohl, Mutter dachte nicht im Traum daran, daß es ihm Ernst sein könnte. Und da war es wieder ihr völliger Unglaube, der ihn stachelte.
Alle denken se, ick bin varrückt. Det möcht ick denen mal zeigen, wie varrückt ick bin!
Aber von solchen Gedanken bis zur Tat war es weit. Darüber war er sich bald klar, daß er sich nicht einfach auf den Bock seiner Droschke setzen und losfahren konnte. Irgendwie mußte die Sache vorbereitet werden, es mußte Geld für ihn und Blücher dasein, auch für Muttern zum Leben, wenn sie allein zurückblieb.
Einmal sah er in einer Nebenstraße einen großen Handwagen stehen, auf dem Erwerbslose das Modell eines Bergwerks aufgebaut hatten. Er stieg ab und sah sich das an. Sah, wie die Lampen leuchteten, die Bähnchen liefen, die Hämmerchen pochten – es war ein sehr hübsches Modell. Der Groschen reute ihn nicht, für den er sich schließlich eine Ansichtspostkarte von dem Bergwerk kaufte.
»Na, wie jeht denn det Jeschäft, junge Leute?« fragte er die Erwerbslosen.
»Nun, so grade, man schlägt sich durch. Ein bißchen mehr als die Unterstützung bringt es doch.«
So wat müßt ick ooch machen, dachte er im Weiterfahren. Ansichtspostkarten verkoofen. Der älteste Droschkenkutscher Berlins fährt von Berlin nach Paris und retour. Det würden die Leute koofen, so wat macht ihnen Laune …
So trug er Stein um Stein für einen Entschluß zusammen. Aber das bedeutete immer noch nicht den Entschluß selbst. Ehe sich ein so alter Mann entschloß, mußte es noch anders kommen. Ein Anstoß von außen, irgend etwas, das ihn in Bewegung setzte, etwas besonders Trauriges oder besonders Fröhliches, aber eben etwas Außergewöhnliches …
Und der Anstoß kam …
»Mutter!« sagte er. »Ick weeß nich, wat du jetzt immer mit dem Jelde hast! Sonst ham wir doch ooch mit fünf Märkern am Tage dicke jereicht, und nu soll et uff eenmal nich mehr langen?«
»Es ist alles teurer geworden, Vater. Die Butter, das Fleisch …«
Es ging sehr lange und sehr weinerlich, Hackendahl hörte gar nicht mehr hin. Es war auch nicht so wichtig, was Mutter sagte, Hauptsache, daß sie mit dem Gelde reichte. Aber das schien gar nicht mehr zu klappen …
»Mutter«, sagte er eine Woche später, »war Heinz hier?«
»Nee, Vater, wieso?«
»Ick weeß nich, es riecht so nach Zigaretten in de Wohnung …«
Mutter besann sich, dann fiel ihr ein, daß der Gasmann geraucht hatte.
»Det soll er man lieber lassen, sag ihm det man, Mutter«, meinte Hackendahl. »Nachher sticht er uns noch unsre Klamotten an, un wir sind Neese.«
Aber er vergaß es wieder. Er war ja nur wenig in der Wohnung, eigentlich nur die paar Stunden zum Schlafen. Er war zehn, zwölf Stunden auf dem Bock, ganz wie das Geschäft ging, und vorher und hinterher saß er jedesmal seine anderthalb Stunden beim Rappen, wenn der fraß, putzte ihn, tränkte ihn …
Oft brachte ihm Mutter abends sein Brot in den Stall. Er saß gerne dort, in der alten Werkstatt von dem Kerl, der sich aufgebaumelt hatte – auf den Namen kam er nicht mehr. Er saß da, der Lärm der Straßen war stiller geworden, wiederwar ein Tag vorbei – gut, er konnte schlafen gehen. Und langsam stand er auf, hielt dem Gaul noch einmal den Wassereimer hin und ging nun direkt ins Bett, müde, sehr müde.
Aber solche Müdigkeit hält bei alten Leuten nicht lange vor. Es ist mehr eine Altersmüdigkeit, eine Lebensmüdigkeit als Schlafsucht. Jawohl, er schlief zwei, drei, auch vier Stunden, aber dann war er wieder wach. Er lag stille im Bett, um Mutter nicht zu stören, er lag einfach da, wie er aufgewacht war. Es war lange noch nicht das Schlechteste, so zu liegen …
Man konnte an vieles denken, nicht an
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