Der eiserne Gustav
glücklich alle beede ausjestanden, und nu werden se jefeiert …«
»Jefeiert …? For wat denn?«
»Na, Justav, deine Leitung müßt ’nen Elektriker haben! Der könnt die janze Stadt Balin damit versorjen! Det sie von Paris rüberjeritten is! Darum wird se jefeiert! Den janzen Wech, und immer bloß uff dem Zossen!«
»Un det is allens? Dafor son Trara?! Na, Mensch, det mach ick und mein Blücher noch alle Tage! Und ick bin fastsiebzig! Wenn’s weiter nischt is, von Berlin nach Paris – det können wir ooch, wat, Blücher?«
»Denn mach man, Mensch!« lachte der Chauffeur, und zu den anderen Fahrern, die horchend dazugekommen waren: »Hört euch das bloß an! Justav will mit seine Droschke nach Paris fahren, vabrüdern …«
»Ja, Mensch, Justav, det mach!«
»Da wird dein Blücher aber heiße Füße kriejen, Justav!«
»Mit ’ner Droschke, det is noch besser als Reiten!«
»Ick hör immer Paris. Du meinst doch det Paris, det jleich beim Spandauer Krug liecht, wat, Justav?«
»Immer eisern, Justav! Dir broochen se in Paris jar nich erst aus Eisen zu jießen, dir stellen se jleich so uff ’n Sockel, Justav, du hältst!«
»Ick weeß nich«, sagte Gustav Hackendahl erstaunt, »wat ihr euch uffpustet?! Findt ihr wat dabei? Wenn ick det will, denn mach ick det. Und ick jloobe, ick will …«
Nachdenklich ging er wieder zu seiner Droschke und kletterte auf den Bock. Aus der Ferne sah er, wie der Empfang weiterging. Es kam noch ein ganzer Schwarm von Reitern, begrüßte die Pariser Reiterin, hüllte sie ein, wie die Sonne von Wolken eingehüllt wird – und der Zug setzte sich in Bewegung, in die Stadt hinein, die Musik voran. Die Leute schrien hurra …
Ick weeß nich, dachte Gustav, ob die in Paris ooch Droschken haben. Aber wenn, det müßte jroßartig sind, so fuffzig Droschken uff eenen Hümpel. Det war doch noch mal wat anderes als immer die Autos – vorne wie wegjehackt sehn se ja doch aus, de Leute möjen saren, wat se wollen …
Dann bekam er Fahrgäste, drei Fahrgäste, und hatte im Trabe dem Reiterzug nachzufahren. Und hörte sie hinter sich reden: »Allerhand Hochachtung vor dem Frauenzimmer! – Is ja doch ’ne Leistung! – Ja, die Franzosen – haste jesehn, quittengelb ins Jesichte, aber helle wie Jraf Koks!«
Und dachte so sachte, seinen Rappen in Trab haltend: So könnten se nu von dir reden, Justav! Janz wie damals mit demFuhrhof wär et ja nich, een bißken Varrücktheit is schon dabei. Aber et wär doch mal wat anderet als det ewije Droschkenfahren – nu mach ick det balde vierzig Jahre! Det wär doch eene Abwechslung – un wenn ick denn nach Frankreich komme, könnte ich jleich Otton mal besuchen … Ick weeß nich, manchmal denk ick jetzt doch, er war ja nich so dußlig, und von Pferden hat er ooch wat vastanden …
So gingen seine Gedanken, immer mit dem Zug mit. Und wenn er hörte, wie die Leute hurra schrien, und wenn er sah, wie das Gewühl der Begrüßenden gegen das Brandenburger Tor zu immer dicker wurde, so dachte er: Justav, sei helle, kiek dir det an! Valleicht wird det wat …
2
Der eiserne Gustav hätte die Pariser Reiterin wohl nie gesehen ohne seine Tochter Sophie. Die hatte es dahin gebracht, daß er wieder alle Tage Droschke fuhr. Als Droschkenkutscher sah er den Besuch aus Paris und machte sich Gedanken.
Sophie hätte ja nicht die kühle, berechnende, liebeleere Sophie sein müssen, um es nicht, je länger je mehr, als Last zu empfinden, daß sie, die Herrin der ständig sich vergrößernden Privatklinik, bloß einen Droschkenkutscher zum Vater hatte. Und daß dies alle Patienten erfuhren, nicht einmal durch die Schwestern, das hätte sie bald durch ein Machtwort verhindert, sondern durch den Vater selbst. Der konnte es nicht schnell genug allen Menschen erzählen, daß er der älteste Droschkenkutscher Berlins und der eiserne Gustav sei und daß die Oberin seine Tochter wäre …
»Bloß früher war se man een Plättbrett, so’n richtiger Miesling – die hat sich erst im Kriege so rausjemacht. Wie die Leute saren: Dem einen sein Tod is dem andern sein Brot. Na ja, det sollte ick ja woll nich saren. Sie sind ja hier ooch Patient, und die Sophie lebt von Ihre Krankheit …«
Sophie war nicht einmal ganz sicher, daß dies bloß Altersgeschwätzvom Vater war. Oft schien es ihr, als sei es reine Bosheit von ihm, als wolle ihr der Vater eins versetzen oder sie ducken. Wenn ihr solch Geschwätz mal wieder zu Ohren gekommen war und sie ihn zur Rede stellte,
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