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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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sagte er ganz gemütlich: »Aber wat denn, Mächen, wat denn? Ick bin’n Droschkenkutscher, un du hast dir mächtig rausjemacht, det is die reine Wahrheit! Oder genierst de dir, det de bloß di Tochter von’n Droschkenkutscher bist? Ick kann ja saren, det ick noch’n Fuhrhof mit Stücker dreißig Droschken jehabt habe, damals, wie de jeborn bist. Nee, richtig, wie de jeboren bist, waren’s noch nich so ville. Aber ick kann Muttern fragen, det ick denn ooch jenau die richtige Zahl sare …«
    »Du sollst überhaupt nicht mit den Patienten reden! Du sollst sie bloß spazierenfahren.«
    »Na aber nu! Die sprechen mir doch an! Ick tu, wat die willst, Sophie – also sag, ick soll das Maul halten, wenn die mich anquasseln!«
    »Du weißt gut, was ich meine. Meinetwegen sag ihnen daß du der eiserne Gustav bist, obwohl ich das nicht sehr geschmackvoll finde, aber daß du grade jedem erzählst, die Frau Oberin ist deine Tochter …«
    »Ick sage immer: Frollein Oberin – oder haste’n Mann jehabt, Sophie?«
    So gingen die Streitereien. Sophie wurde immer weißer vor Wut, aber der alte Mann blieb ganz gemütlich. Altersgeschwätzig, Wichtigtuerei, Bosheit … Oh, wie gerne wäre sie ihn wieder los gewesen!
    Wenn ich ihn doch erst wieder los wäre! dachte sie oft; doch kam sofort als zweiter Gedanke: Aber es muß von ihm ausgehen!
    So versuchte sie, ihn auf Umwegen vom Hals zu kriegen. Die Patientenfuhren wurden seltener, aber die Fuhren von Kohle und Asche und Uringläsern, die Vater nicht mochte, wurden häufiger.
    Aber war sie listig, war er schlau. Manchmal hatte sie das Gefühl, er durchschaute sie völlig, als sei sie für ihn aus Glas,und dies war kein angenehmes Gefühl. Zudem jammerte es sie in ihrer Genauigkeit, daß Fuhrwerk und Pferd, für ihr Geld, nicht ausgenützt wurden. Sie gewöhnte sich daran, selbst in der Droschke zu fahren, trotzdem sie zehnmal lieber zu Fuß gegangen wäre. Aber sie glich den Leuten, die sich im Restaurant ein Essen bestellt haben, das ihnen nicht schmecken will: Sie essen es doch, weil sie es bezahlen müssen.
    Genauso fuhr sie Droschke, von einem Laden zum anderen, und vergnügliche Fahrten waren das weder für Kutscher noch für Gekutschte, denn nie ging es ihr schnell genug, und das Umwenden war so umständlich, und die Leute guckten und sagten: »Kiek mal, wahrhaftig noch ’ne Kutsche! Die fahren se ins Märkische Museum!« So saß sie oft kochend vor Zorn in dem Halb-Landauer, und immer gereizt, und es fehlte nur wenig, daß es bei diesen Ausfahrten einmal zur Explosion kam.
    Die kam, als sie sich eines Vormittags zur Bahn fahren ließ. Vater war auf neun bestellt, und Vater war auch pünktlich gewesen. Wie das aber geht in einem großen Betrieb, dessen Leiterin fort will, und sei es auch nur für ein paar Stunden: Im letzten Augenblick kam alles mögliche dazwischen, und so war es schon neun Uhr zwölf, als sie in den Wagen stieg.
    »Los, Vater!«
    »Neun Uhr zwölf, Sophie«, sagte der Vater. »Ick jloobe, wir schaffen es nich. Fahr man lieber Unterjrund.«
    »Natürlich schaffen wir es. Nimm den Rappen nur ordentlich ran. Du mußt es einfach schaffen! Los!«
    »Ick jloobe nich.«
    »Also bitte los, Vater!«
    »Meinethalben, Sophie, aber schimpf nich uff mir, wenn wir’s nich schaffen!«
    »Wenn wir es nicht schaffen, tust du es mir zum Tort!«
    »Red doch bloß nich so wat, Sophie! Du bist jetzt uffjerecht! Warum soll ick dir denn so wat zum Torte tun, so bin ick ja jar nich!«
    Und Vater fuhr los. Er fuhr wirklich wie Blücher, er hielt das Pferd in einem schlanken Trabe. Er kam gut bei denÜbergängen zurecht, er wählte die stilleren Nebenstraßen; sie mußte zugeben, er tat alles, damit sie noch zurechtkam.
    Schließlich drehte er sich um und sagte ganz vergnügt: »Ick jloobe wirklich, wir schaffen’s. Ja, dir zu fahren, det macht dem Blücher andere Laune als so’ne Fuhre Asche!«
    »Fahr bloß zu!« rief sie gereizt.
    »Is ja noch rot, die Ampel«, sagte er ungerührt, aber fuhr sofort an, sobald gelb kam.
    Sie saß hinten im Wagen, gereizt, weil sie das Geld für die Untergrundbahn gereut hatte, gereizt, weil der Vater recht gehabt hatte, daß es eigentlich zu spät gewesen war, gereizt, daß er ganz ungekränkt alles tat, um sie doch noch zur Zeit auf den Bahnhof zu bringen, gereizt über sich, ihn, den Wagen, sein Rattern, über die ganze Welt – gereizt, daß sie ihn immer noch nicht los war!
    So kamen sie bis an den Potsdamer Platz. Sie hatten nur noch

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