Der eiserne Gustav
Sprache und Ausdruck, Denkart und Ton.
»Ihr seid Väter!« sagt der Sohn verächtlich oder tut wenigstens so. »Ihr habt uns eine feine Suppe eingebrockt! Kindermachen, das habt ihr gekonnt, bloß aus Kindern Kerle machen, das habt ihr nicht gekonnt, weil ihr selber schlapp seid!«
Wort für Wort gelogen, Feigheit und Hinterlist ein jedes Wort. Dem Vater juckt die Faust. Aber er hat der Frau versprochen, ihn nicht zu schlagen. Und reden mag er nicht mit ihm – der verdreht doch jedes Wort im Munde!
Aber der Vater tut etwas anderes, er bläst das Licht aus, und sobald es dunkel ist, wird der Sohn still. Kaum sieht er den Vater nicht mehr, kommt die Angst zurück. Er ist so unsicher, was geschehen kann. Er murmelt einen Fluch, er sagt wütend: »Was soll der Blödsinn?!« Aber er beeilt sich.
Und es ist, als habe der Vater, den er nur wie einen Schatten sieht, im Dunkeln Augen: Kaum hat Erich den Hut auf dem Kopf, so kommt eine Hand aus dem Dunkel, um seinen Nacken, und schiebt den Sohn hinaus auf den Gang. Der ergibt sich, gleich kann er gehen …
Aber der Vater schiebt ihn an der Flurtür vorüber auf die Schlafstubentür zu. Der Sohn will sich widersetzen, aber das hilft ihm nichts. Die Hand in seinem Nacken ist wie eine Klammer aus zähem Holz, sobald er widerstrebt, drückt sie stärker.
Die Mutter hat das Geräusch gehört. Sie ruft ins Dunkel: »Wer ist denn da?! Vater – Erich – was ist denn?«
Ins Ohr des Sohnes flüstert der Vater: »Du sagst Mutter jetzt adieu! Und dankst ihr, verstanden? Höflich! Anständig!«
Der Sohn will sich wehren, aber die Hand des Alten drückt auf seinen Nacken. Er macht eine wütende Bewegung. Doch drohender sagt die Stimme in seinem Ohr: »Willst du parieren?!«
Dieses alte Befehlswort aus der Kinderzeit tut seine Wirkung. Erich räuspert sich, er ruft: »Ich geh jetzt, Mutter. – Danke – schön! Mutter.«
»Erich!« ruft sie. »Erich, mein Junge! Warum ist denn kein Licht? Komm, gib mir noch einen Kuß! Ach, Erich … Vater, bring doch Licht …«
Aber Vater bringt kein Licht, ihn deckt das Dunkel. Im deckenden Dunkel schiebt er den Sohn, den hoffnungslos mißratenen, schlechten Sohn, bis an die Bettkante der Mutter.Er flüstert: »Tu, was sie will!« Er fühlt Wehren, wieder flüstert er: »Ich schwör dir, ich hol sonst die Polizei!« Er drückt den Sohn nieder an der Bettkante, und der Sohn gibt der Mutter den Abschiedskuß …
»Ach, Erich, mach’s gut, ja? Daß sie dich bloß nicht kriegen, paß gut auf, Erich. Adieu, Erich …«
Sie weint, wieder weint sie. Und in diesem Weinen wird der Sohn vom Vater aus der Stube gebracht. Durch die Tür, auf die Treppe … Dann läßt ihn die Hand frei, und ehe er dem Zurückgehenden noch ein Wort von seinem Haß hat nachrufen können, ist die Tür zugefallen zwischen Sohn und Vater.
4
Am nächsten Abend liest der alte Hackendahl in der Zeitung, daß die Polizei auf der Straße einen Verbrecher, einen Landesverräter erkannt hat. Kein Name ist in dieser Notiz genannt, nichts deutet darauf, daß dieser Mann Erich Hackendahl ist. Aber der Alte hält es zuerst für möglich, später glaubt er fest: Das war Erich!
Er spricht mit niemandem darüber, aber ein paar Tage ist er in Angst, daß die Polizei kommen und nach Erich fragen könnte … Doch alles bleibt still. Langsam ebbt es in ihm ab. Wut und Trauer verrinnen. Er ist zu alt, um noch lange zornig zu sein, und schon so alt, daß eine wesenlose Trauer in allem mitspukt, was er denkt, spricht, tut.
Aber in all diesen Tagen, da die Aufregung um sein Kind sich legt, da der graue Alltag weiterläuft, in all diesen Tagen denkt er stärker an die Fahrt nach Paris. So viele Jahre ist er mit seiner Droschke durch Berlin gefahren, und plötzlich ist er dessen so überdrüssig. Immer diese kurzen Fahrten, achtzig Pfennig, eins zwanzig; wenn es gut war, ging es für einen Taler bis zum Schlesischen. Und doch alles bloß kleine Hundefuhren, wie mit einem Kinderwagen geschoben, dachte er plötzlich.
Jetzt möchte er einmal weiter fahren, ins Land hinein. Nichtimmer durch Steinstraßen. Er möchte die Felder wiedersehen, auf denen er als Junge gearbeitet hat. Er möchte vom Bock seiner Droschke sehen, wie sie pflügen und eggen, die Saat ausstreuen und zuwalzen. Ach, es ist wie Heimweh, das plötzlich über ihn kommt, Heimweh und Wandertrieb …
Fahren und fahren, immer weiter durch das Land. Alles Land ist Heimat, die Stadt ist dem Landgeborenen nie Heimat geworden
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