Der eiserne Gustav
Zehntausend Ansichtspostkarten, die kosten wieder, na, sagen wir, dreihundert Mark. Das sind dann tausenddreihundert Mark. Das heißt, ich muß noch dreitausend Ansichtspostkarten mehr kaufen, sind wieder hundert Mark mehr …
So geht es in seinem Kopf, tagelang. Er schläft nicht, er ißt nicht.
»Was hast du bloß, Vater?« fragt die Mutter.
»Ach, laß man«, sagt er. »Det wird schon det Frühjahr sind. Det bringt meinen Reißmatüchtig in Gang …«
Nein, zu Mutter sagt er kein Wort, aber er sieht, daß er die Sache nicht allein bewältigen kann. Tausend Mark, auch nur fünfhundert Mark aufzutreiben, ist unmöglich.
Nu jrade! denkt er. Nu jrade! Det wolln wa doch sehn. Det is allens janz einfach. Man muß sich bloß nich so haben!
Nach langem Überlegen entschließt er sich, auf einem Reisebüro um Rat zu fragen.
5
Wie alles, was mit dieser Pariser Reise zusammenhing, überlegte sich der eiserne Gustav es erst einmal gründlich, auf welches Reisebüro er gehen wollte. Für die Büros auf den Bahnhöfen war er nicht. – Die wollen bloß Fahrkarten vakoofen, dachte er. Und wenn ick denn mit Droschke komme, vaasten se mir bloß.
Mit den Dampferbüros war es auch nichts, mit denen, die so ein nettes Schiffchen im Schaufenster hatten. (So wat müßt ick für meinen Enkel Otto zum Spielen haben …) Schließlich wählte Hackendahl ein Reisebüro, das in einem großen Zeitungshause lag. Er hatte den nicht ganz falschen Eindruck, die müßten auf dem Reisebüro irgendwas mit der Zeitung zu tun haben, und Zeitungsmenschen wußten in der ganzen Welt Bescheid.
So ging denn Gustav Hackendahl irgendeines Tages, plötzlich war es soweit, in dieses lange ausersehene Büro, hing seinen Lackpott an einen Kleiderhaken, stellte die Peitsche daneben, drehte sich um und musterte den Raum und seine Leute. Dann, als er alles geprüft hatte, steuerte er auf einen jungen Mann hinter einem Tisch zu, der ihm ein bißchen alerter aussah als die anderen Kontorschemelreiter. Daß auf dem Schild über dem wohlgesalbten Haupt dieses jungen Mannes »Reiseschecks und Devisen« stand, kümmerte ihn gar nicht.
»Junger Mann«, sagte der eiserne Gustav, »ick will Sie nischt abkoofen. Nur um ’ne Auskunft möcht ick jebeten haben. Ick will mit meine Droschke nach Paris zuckeln, nur so aus Laune, vastehn Se, und da hätt ick jerne jewußt, wie lange det dauert und wat ick da for Jeld und Papiere brooche, und ob ick ooch noch Franzö’sch lernen muß …«
Hackendahl hatte es fertiggebracht, alle lang gehegten Sorgen und Fragen in einem einzigen Satz unterzubringen.Er schwieg nun und sah etwas kurzatmig auf den jungen Mann.
Der sah wiederum den alten an, nicht ohne Interesse, aber doch auch nicht frei von der echt berlinischen Besorgnis, zum Narren gehalten zu werden. So griff er erst einmal das letzte heraus und fragte: »Würden Sie denn Französisch lernen, wenn’s nötig wäre?«
»Na klar, junger Mann«, sagte der eiserne Gustav.
»Wie alt sind Sie denn?«
»Disset Jahr werde ick siebzig. Hat det wat mit meine Reise zu tun?«
»Wenn man älter ist, wird einem das Sprachenlernen saurer«, erklärte der junge Mann.
»So is det? Na, Jüngling, beruhigen Sie sich man. Wat de kleenen franzö’schen Steckkissenkinder lernen können, det kann ick ooch noch.«
Der junge Mann vom Reisebüro sah ihn nachdenklich an. »Sie wollen wirklich mit Ihrer Droschke nach Paris fahren?« fragte er noch einmal. »Das ist kein Flachs von Ihnen?«
»Na, hören Se mal!« protestierte der Eiserne. »Wie komm ick denn dazu, Ihnen anzuflachsen?! Sie sind mir ja janz fremd. Ick werd doch keene fremden Leute anflachsen!«
»Soso«, sagte der junge Mann nachdenklich. »Sie wollen also wirklich nach Paris fahren?«
»Will ick!« bestätigte noch einmal Gustav Hackendahl und wartete geduldig das Ergebnis dieses Nachdenkens ab.
Wenn er aber meinte, der junge Mann dachte über Gelder und Pässe nach, so irrte er sich. Sondern der Jüngling dachte an einen Vetter, Grundeis mit Namen, der zwei Treppen höher in dem Zeitungshause ein höchst unseliges Leben als Redaktionsvolontär führte. Der Jüngling dachte natürlich nicht einen Augenblick daran, daß die Pariser Fahrt dieses Greises ernstlich in Frage käme. Aber er fand, dieser alte Droschkenkutscher war eine ziemlich komische Kruke. Vielleicht konnte Vetter Grundeis einen Artikel aus ihm machen,altes Berlinertum und echt Berliner Humor – so was lasen die Leute gern …
»Hören Sie mal!« sagte
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