Der eiserne Gustav
der Jüngling also nachdenklich.
»Wat denn?« fragte Hackendahl hoffnungsvoll.
»Ich weiß da einen Herrn oben auf der Zeitung, zu dem werde ich Sie mal schicken. Der weiß mit so was besser Bescheid.«
Aber Hackendahl war mißtrauisch. »Ick hab doch nischt mit ’ne Zeitung. Ick will ’ne Reise machen, und Sie sind doch Reisebüro, nicht wahr?«
Und der Berliner verstand sofort das Mißtrauen des Berliners. Beruhigend sagte er: »Wenn der Herr oben nicht Bescheid weiß, können Sie ja immer wieder zu mir kommen. Aber der weiß Bescheid, der ist der richtige Mann für Sie. Ich werd Sie bei ihm telefonisch anmelden, Grundeis heißt er. Dritter Stock, Zimmer 317.«
»Det hab ick immer jedacht, det Jrundeis det Richtige für mich is«, sprach der alte Hackendahl, und vielleicht machte es gerade dieser Name, daß er sich trotz seines Mißtrauens abschieben ließ und oben im Wartezimmer der Redaktion ganz geduldig auf den jungen Grundeis wartete.
Was den jungen Grundeis, den brandroten Grundeis, Grundeis, den Fuchs, nun anging, so war er schon manches Jahr Redaktionsvolontär, und wenn er nachdenklich die Hosenhintern seiner VorGesetzten betrachtete, so mußte er sich sagen, daß wenig Aussicht für ihn bestand, in absehbarer Zeit aufzurücken. Die saßen, und wie sehr er auch rannte, wenn er irgendwo anlangte, saßen sie schon da: All sein Rennen trug ihm keinen Sitzplatz ein. Und darauf zu warten, bis so ein alter Sitzer welk und dahingerafft wurde, dafür war Grundeis zu temperamentvoll.
Auch kam er um vor unbefriedigtem Ehrgeiz. Immer, wenn was Wirkliches los war, ließ man ihn zu Haus. Niemand sagte von ihm: »Das ist der, der dasunddas geschrieben hat«, sondern sie stellten ihn schamlos vor: »Dies ist unser junger Windhund, läuft wie Nurmi, ein ganz großer Renner!Schreiben? Ja, schreiben tut er auch. Ich muß mal irgendwas von ihm gesehen haben – im Papierkorb.«
Vor Ehrgeiz kam er um, der Grundeis. Manchmal rannte er nachts durch die dunkle Stadt und flehte zum Himmel, daß ihm vor der Nase irgend etwas passierte, es konnte nicht außergewöhnlich und schrecklich genug sein. Aber es geschah nie etwas, nicht die kleinste Sache.
Dann wurde er wieder von schrecklicher Apathie befallen. Und wenn die ganze Welt einfiele, die Stelle, wo er stünde, würde intakt bleiben – davon war er fest überzeugt.
Als sein Vetter ihm per Telefon von dem verrückten alten Droschkenkutscher, der nach Paris fahren wollte, erzählte, hatte er äußerlich ganz ruhig gesagt: »Was so’n oller Mann sich einbildet! Mit ’ner Pferdedroschke, das ist doch gar nichts! Ja, wenn’s mit ’nem Kinderroller wäre. – Na, meinethalben, schick ihn mir mal rauf!«
Aber innerlich war ihm plötzlich glühend heiß geworden. Das konnte etwas sein, das konnte etwas ganz Großes sein, die Chance seines Lebens! Ein Artikel über Berliner Humor? Knif, kommt nicht in Frage! Kakfif, kommt auf keinen Fall in Frage! Sondern es kam darauf an, was das für ein Kerl war. Verrückte Einfälle kann jeder haben, es kam auf den Mann, nicht auf den Einfall an. Der Mann mußte an seine Verrücktheit glauben, er mußte sie nicht verrückt finden, und er mußte der Mann sein, sie durchzuführen …
Grundeis sah sich den Mann an. Er verschleppte den alten Hackendahl in ein einsames Redaktionszimmer, und dort nahm er ihn in die Zange. Er brachte ihn zuerst zum Schwatzen, und als der alte Mann völlig leergelaufen war, als er bereits zum dritten Male sein bißchen Plänemacherei erzählt hatte, brachte Grundeis alle Einwendungen, die ihm nur einfielen, zählte alle Schwierigkeiten auf, zerpflückte erbarmungslos alles, machte alles madig …
Und beobachtete dabei sein Opfer.
Er sah den alten Mann vom Zeitungsstandpunkt an. Er überlegte sich, wie er sich auf Photos machen würde, ob erdas Zeug zu einer populären Figur hatte, ob er reden konnte, Mutterwitz besaß. Er dachte nach, ob er wohl schon verkalkt wäre, wie er sich in einer schwierigen Situation verhalten würde, bei einer Ansprache, einem Festessen, einem Achsenbruch. Ob er kränklich sei.
Aber vor allem prüfte er ihn darauf, ob er durchhalten würde, ob er leicht klein beigab, ob er mutlos zu machen war, ob er sich von dem beeinflussen ließ, was die anderen sagten, ob er einen festen Kern in sich hatte, und ganz besonders, ob er wirklich besessen war von seiner Idee …
Und als der alte Hackendahl auf die zehnte Einwendung hin bloß mit unerschütterlicher Sturheit gesagt hatte:
Weitere Kostenlose Bücher