Der eiserne Gustav
ein wohlbestallter Fuhrherr war, hat er es sich nicht träumen lassen, daß seine Heimatstadt ihm je so zujubeln könnte.
Als er an dem französischen Reisebüro vorbeikommt, hält er an, er winkt durch den Tumult, er steht auf. Die Musik schweigt, er schwenkt seinen Lackpott, er schreit, er brüllt: »Vive la France!«
Und sie brüllen mit: »Vive la France!«
Jawohl, es lebe das Gastland, das den Mitbürger so freundlich aufgenommen hat, aber es lebe vor allem dieser Mitbürger! Er ist ein großartiger alter Bursche, einer der Unseren, einer wie wir: Leben wir mit ihm! Unverwüstlich, großartig, nicht tot zu kriegen – wir Berliner!
Und Gustav Hackendahl fährt weiter, am Schloß vorüber. In der Königstraße wird das Gedränge lebensgefährlich, wäre Grasmus nicht auf Volksgedränge dressiert, es würde schiefgehen. Aber so kommen sie durch, siehe, nun fahren wir vor dem Roten Hause vor.
Im gleichen Augenblick fangen die Hupen aller Chauffeure zu tuten, zu schreien, zu dröhnen an – diesmal hat kein eifriger Grundeis sie bestellen müssen, diesmal schreitet kein empörter Schupo ein. Auf dem Bock stehend, singt der eiserne Gustav mit, was die hupen. Diesmal hört er die Melodie ohne weiteres heraus: »Wem Gott will rechte Gunst erweisen«, so hupen sie.
Vor dem Rathaus erwarten sie ihn. Es ist ein Bürgermeister der Stadt, der den eisernen Gustav dort begrüßt, der den schlichten Mann des Volkes als Versöhner zweier Völker in einer wohlgesetzten Ansprache feiert und dann dem schlichten Mann den Ehrentrunk der Stadt kredenzt.
Ehrentrünke ist Gustav Hackendahl gewohnt. Er trinkt den Becher leer, aber als sie eine Antwortrede von ihm erwarten, sagt er bloß: »Entschuldigen Sie man bloß einen Momang, meine Herren!« und läuft ins Rathaus.
Er läuft die Gänge entlang, er weiß noch die Zimmernummer. Sein Fahrtenbuch hat er in der Tasche, das wird dem Bruder nicht geschenkt! Warte, mein Junge!
Er stößt die Tür auf, er stürmt ins Büro. »Nanu, wo is’n der, der sonst hier saß?!«
»Wen meinen Se denn? Wen wollen Se denn? Wieso kommen Se denn überhaupt so reingeballert? Ach Jott, Sie sind ja der eiserne Justav! Ich kenn Sie doch aus der Zeitung! Das ist aber eine Ehre, Herr Hackendahl – was können wir hier denn für Sie tun?«
»Ick hätt jerne die Bescheinijung von meine Rückkehr, hier in det Buch. Ja, nu is et voll. Aber ick hätt et jerne, det et derselbe Herr, der damals meine Abfahrt … Is der denn nich mehr hier?«
»Obersekretär Brettschneider? Kannten Sie ihn persönlich? Ja, das war ein reizender Herr … Leider, Herr Hackendahl, an der Grippe, verstehen Sie, schon im Mai. Kam noch aufs Büro – und sechs Tage drauf, was soll ich Ihnen sagen, weg! Schade, was?«
»Ja, sehr schade!« sagt der alte Hackendahl, und er findetes wirklich sehr schade, daß der Gegner vor ihm ausgerissen ist. Ein bitterer Tropfen im Freudenbecher, das Menschenherz ist seltsam: Ganz Berlin jubelt ihm zu, aber den einen gestorbenen Berliner vermißt er.
Dann geht die Fahrt weiter, das große Zeitungshaus erwartet ihn. Es will doch seinen erfolgreichen Fahrer feiern – und das tut es denn auch. Generaldirektoren und Direktoren, Chefredakteure und gewöhnliche Redakteure (zu denen jetzt auch der brandrote Grundeis zählt) erwarten ihn, begrüßen ihn, feiern ihn …
Und dann geht es nach soviel Ehrungen zu einem Festessen, Eisbein, Sauerkraut und Erbsenpü. Sein Leibessen wird dem erfolgreichen Bürger Berlins vorgesetzt, rechts vom eisernen Gustav sitzt ein Filmstern und links sitzt Mutter. Wahrhaftig, sie haben Muttern hierher in das große Zeitungshaus zu einem Festessen verschleppt, Mutter, die doch nie mehr irgendwo hingeht!
Mutter hat ein neues seidenes Kleid an, sie begrüßt ihren Gustav und sagt weinerlich: »Gott sei Dank, daß du wieder da bist, Vater. Die Leute rennen einem ja das Haus nach dir ein. Und alle bringen sie was; die ganze Wohnung liegt voll Papier und Geschenke und Kartons – wo soll ich denn mit dem Zeug alles hin? Und gestern war eine da, die wollte dir einen Piepmatz bringen, weißte, einen echten Harzer Kanarienroller. Aber ich hab sie wieder weggeschickt, wer weiß denn, wie so eine das meint. Ich hab ihr gesagt: ›Wenn’s bei Vater piept, so ist das Familiensache, da brauchen Sie sich nicht einzumengen!‹ Aber ich glaube nicht, daß es bei dir piept, Vater, bloß so … Die Leute sind manchmal so gehässig!«
Aber Mutter ist nicht die einzige, die heute Reden
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