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Der Eiserne König

Der Eiserne König

Titel: Der Eiserne König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Henry Eagle
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hungrige Fuchs. »Wenn er kräht, wachen sicher alle auf.«
    »Hühnergegacker«, knurrte Meister Grimbart, »ist sinnvoller als dieser Vorschlag.«
    Reineke Fuchs warf ihm einen beleidigten Blick zu.
    »Wir haben wenig Zeit«, sagte die Muhme zu Maleen. »Denn wie es scheint, zieht die Wilde Jagd wieder durch Pinafor. Bei der Esche muss etwas passiert sein, und ich weiß nicht, was das für unsere Gefährten bedeutet.«
    Maleen streichelte den auf ihrer Schulter sitzenden Sperling. Dann kam sie auf die Beine und taumelte wie in Trance voran; ihr Kleid war hinten vom Blut der aufgebrochenen Striemen verkrustet.
    Die Muhme wand sich innerlich. »Die Kleine tut mir leid«, flüsterte sie Meister Grimbart ins Ohr. »Aber sie ist hier die einzige Jungfrau. Und laut der Welse kann nur eine solche den Bann brechen.«
    »Was ist so vorteilhaft an der Jungfräulichkeit?«, fragte der Fuchs. »Fast alle Fähen, die ich kenne, hätten Lunte und Balg hergegeben, um sie endlich zu verlieren.«
    »Keuschheit gibt Kraft«, brummte Meister Grimbart.
    »Das redet man sich vielleicht in deinem Alter ein«, erwiderte Reineke Fuchs spitz, »wenn das Jingjang erlahmt.«
    »Wenn
was
erlahmt?«, fragte der Dachs.
    »Du hast keinen Schimmer von den tieferen inneren Kräften«, sagte der Fuchs. »Die Jungfräulichkeit gehört jedenfalls nicht dazu.«
    »Wenn du nicht still bist, sorge ich dafür, dass es Dingdong in deinem Kopf macht«, giftete ihn der Dachs an. »
Jingjang
 … Heiliger Bimbam!«
    Nach einer Weile erreichten sie eines der Burgtore, vor dem die Wachen, vom Schlaf gefällt, wie tot übereinanderlagen. Nachdem sie die Feste betreten und den Aufstieg zwischen den Ringwällen zu Bergfried und Schloss angetreten hatten, stellten sie fest, dass sogar die Hunde auf den Höfen, die Tauben auf dem Dach und die Fliegen an der Wand tief und fest schlummerten. Und der Wind, der draußen ging, war hier auch nicht zu spüren.
    »Pfoten weg«, fauchte der Dachs, als sich Reineke Fuchs an einem schlafenden Huhn vergreifen wollte.
    »Wieso?«, fragte der neuerlich beleidigte Fuchs. »Es ist doch betäubt. Es hätte nichts gemerkt.«
    Innerhalb des zweiten Ringwalls bot sich das gleiche Bild: Mägde, die noch Körbe hielten, lagen da, die weiten Röcke wie Fächer um sich ausgebreitet. Auf den Wehrgängen waren Wachen zwischen Zinnen zusammengebrochen. Eine Frau mit einem Neugeborenen an der Brust war auf einer Bank eingeschlafen.
    »Unheimlich«, sagte die Muhme, deren Stock im Takt der Schritte auf das Kopfsteinpflaster klackte. »Der Zauber hat das Leben zwischen zwei Atemzügen angehalten.«
    Maleen ging wie in Trance weiter. Die auf ihren Schultern sitzenden Vögel, die den Zauber spürten, sahen sich ängstlich um. Nach dem langen Aufstieg durch die Feste traten die Gefährten durch das Tor des dritten Ringwalls und erblickten das Schloss mit der Freitreppe und dem hinter dem Westflügel aufragenden Bergfried. Davor lag ein weiter, auf drei Seiten von Ställen und Wirtschaftsgebäuden gesäumter Platz mit einem Brunnen, den Büsche weißer und roter Rosen umgaben. Der Abend war angebrochen, und im Licht von Mond und Sternen wirkte alles fahl und tot.
    Die Muhme blieb stehen. Das zwischen den Mauern hallende Klacken ihres Stocks erstarb. Sie nahm die Pfeife aus dem Mund. »Hier befindet sich die Quelle des Zaubers«, sagte sie. »Wir müssen sie finden.«
    Bei diesen Worten hielt auch Maleen an. Sie stand mitten auf dem Platz, eine kleine, schmale Gestalt unter dem gestirnten Nachthimmel. Der Mondschein warf ihren Schatten auf das Kopfsteinpflaster. Trotz der Vögel, die auf ihren Schultern saßen, wirkte sie einsam. Sie drehte sich zu Fuchs, Dachs und Muhme um. Ihre grünen Augen strahlten, und dann flammte ein blaues Licht über ihren Handflächen auf.
    »Ah«, stieß die Muhme hervor. »Die Welse helfen ihr.«
    Das blaue Licht kreiste eine Weile über Maleens Händen und neigte sich dann in Richtung Brunnen. Maleen folgte diesem Fingerzeig. Sie trat durch den Kreis aus Rosenbüschen. Auf einer Bank vor dem Brunnenrund saß ein blondes Mädchen in einem weißen, knöchellangen Gewand, unter dem nackte Füße hervorlugten. Ihre Augen waren weit offen, aber ihr Blick war leer.
    Sobald Maleen vor ihr stand, flammte das blaue Licht auf und hüllte beide ein. Maleen bückte sich und drückte ihre Lippen auf die des Mädchens. Sie küsste das Mädchen sehr lange; so lange, dass Reineke Fuchs nervös mit der Lunte zu wedeln begann. Nach

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