Der Eiserne König
»Pennt weiter in euren Himmelbetten. Wir brauchen euch nicht. Wir sind … wir sind …« – er griff in die Tasche seiner speckigen Hose und ließ Goldstücke auf die Straße klimpern – »… REICH !«
Der Vogt griff nach dem Gold, aber Hilck von der Usse trat ihn so wuchtig um, dass er der Nase lang im Dreck landete. Helmdag saß ab und musterte eines der Goldstücke.
»Nagelneu«, sagte er und zeigte es seinem Bruder. »Auf der einen Seite ist unser Wappen, auf der anderen die Esche.«
»Aber es stammt nicht aus unserer Münze«, erwiderte Hilck. »Wir haben seit langem nichts mehr geprägt.«
»Ihr habt unsere Töchter entführt!«, kreischte der Landmann. »Ihr habt den Hag um die Feste wachsen lassen, damit eure Schandtaten verborgen bleiben!«
Hilck von der Usse runzelte die Stirn. »Töchter entführt?«, murmelte er.
»Ja«, sagte der Vogt und klopfte Staub von seiner ohnehin schmutzigen Unterwäsche. »Während der letzten Monde sind viele Mädchen verschwunden, und niemand weiß, wohin.«
»Mü-Mü-Mütter weinen!«, jaulte der Landmann. »Großmü-mü-mütter greinen!«
»Und Ihr habt geschlafen und nichts getan«, grollte der Vogt und zeigte anklagend auf die Gografen.
»Aber …«, stammelte Hilck von der Usse, der vorübergehend jede Autorität verloren hatte.
»Wir brauchen keine Herren mehr!«, schrie der Landmann. »Wir müssen auch nicht mehr arbeiten. Denn wir haben Gold wie Heu.«
»Wie Heu«, bekräftigte der Vogt. »Nur Stroh ist nicht mehr aufzutreiben.«
Zwischen den Häusern erschienen zerlumpte Kinder, Jungen und Mädchen, und schrien: »Haut ab! Haut ab!« Sie warfen mit Steinen, die auf Harnische und Helme prasselten. Dann drängten die verlotterten, betrunkenen Männer des Dorfes aus der Schenke und stimmten in die Rufe ein: »Ja, haut ab, ihr Herren!«
Wieder ging ein Kieselsteinhagel auf die Reiter nieder. Erste Pferde scheuten.
»Bei den heiligen Welsen«, fluchte Hilck von der Usse und versuchte, sein Streitross zu zügeln. »Die sind ja außer Rand und Band.«
»Hört her, gute Leute!«, rief Helmdag. »Wir müssen ein Heer ausheben, denn der Eiserne König erwacht. Die Wilde Jagd treibt ihr Unwesen! Wir rufen euch zu den Waffen.«
Als Antwort erschallte höhnisches Gejohle. Frauen steckten die Köpfe aus Fenstern und kreischten: »Unsere Töchter habt ihr schon! Lasst uns wenigstens unsere Männer!«
»Jawoll! Wir wollen unsere Männer behalten!«, brüllte ein heillos betrunkener Schmied. »Bleibt bei mir, Gesellen!«
Die Gografen ließen ihren Blick über die zornigen, trotzigen Mienen der Dorfbewohner gleiten. »Sinnlos«, sagte Hilck von der Usse. »Wir könnten sie nicht einmal gewaltsam zum Dienst pressen. Das Gold hat sie verdorben.« Er gab seinem Ross die Sporen und preschte auf die Schenke zu, gefolgt von Bruder und Bann. Die Dorfleute wichen aus, stolperten über die eigenen Beine, stürzten auf die Straße. Hühner gackerten, Gänse tröteten, Schweine quiekten. Die Kinder warfen den Reitern unter schrillen Pfiffen Steine hinterher, und als der Bann der Gografen in die Feldmark galoppierte, erhob sich im Dorf ein Triumphgeschrei.
»Wer auch immer unsere Feinde sind«, rief Helmdag von der Usse seinem Bruder zu, »sie haben ganze Arbeit geleistet.«
»Ja«, erwiderte Hilck grimmig und klopfte seinem Streitross auf den Hals. »Aber wir geben noch nicht auf.«
Und sie ritten zwischen den Feldern, auf denen das Getreide schwärzlich faulte, zum nächsten Dorf.
Der Feind sammelte sich währenddessen im Königskessel, dem abgelegenen Unland im Nordwesten des Gretings. Alle, für deren Ohren er bestimmt gewesen war, hatten den Schrei gehört, den der Eiserne König am Abend seiner Erweckung ausgestoßen hatte. Blaubart, der in der Grenzfeste Rottland sein Unwesen trieb und den Gografen untreu geworden war, eilte mit seinen Raubrittern herbei. Die Karontiden verließen die Abgründe unter dem Greting, und Eisenhans kam aus dem Schlupfwinkel hervor, in dem er sich nach der Schlacht in der Grotte versteckt hatte; sein Zottelfell war versengt, der Ohrstumpf dick verschorft.
Der Eiserne König ließ von einem Findling seiner Grabstätte den Blick über seine Streitmacht schweifen. Die Wesen der Wilden Jagd saßen rings um den Königskessel auf den Kalksteinfelsen. Der Himmel war so grau wie Gras und Laub, und die Sonne schien sich zu verstecken.
Grimm stand unterhalb des Findlings und sah verdrossen zu Eisenhans, der ihn angrinste, eine Laus
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