Der Eiserne König
Attrappen, mit denen die Brustwehr bemannt war, packte ihn eine solche Wut, dass er vom Pferd sprang und mehreren Riedpuppen die Köpfe abschlug.
»Wo ist das Heer?«, brüllte er. »Wo sind die Gografen?«
Sein Gebrüll verhallte im Nebel über dem Dunkelpfuhl.
Im Morgengrauen des vierten Tages vereinten sich die Heerzüge vor einem im Volksmund ›Klumpfuß‹ genannten Gebirgssporn des Gretings. Die beiden Gografen erklommen gemeinsam mit Hans den Kamm. Als sie oben zwischen den kahlen, kranken Buchen standen, sahen sie Rottland in der Ferne. Die Mauern der auf einem Plateau erbauten Grenzfeste bildeten ein Achteck und wirkten nicht nur unnahbar, sondern tatsächlich uneinnehmbar. Der riesige, alles beherrschende Bergfried erinnerte an die Zeit, als wilde Horden von Norden in Pinafor eingefallen waren.
»Die kleineren Türme hat Blaubart errichten lassen«, sagte Hilck von der Usse. »Sie sehen nicht aus, als wären sie zur Verteidigung gedacht … Seltsam.«
Die wenigen Getreuen der Gografen unter Blaubarts Männern – jene, die Maleen zur Flucht verholfen hatten und dann zur Strafe und zu Barberas Freude der Jungfer übergeben worden waren – hatten von bizarren Grausamkeiten gemunkelt. Von Dingen, widerwärtig bis zur Unaussprechlichkeit. Blaubart hatte jahrelang ein selbstherrliches Regiment geführt und war seiner Absetzung nur entgangen, weil die Gografen durch Hag und Schlafbann ausgeschaltet worden waren.
»Wie sollen wir diese Mauern überwinden?«, fragte Helmdag ratlos.
Da näherte sich von Osten ein Schwarm dunkler Punkte.
»Die Wilde Jagd«, murmelte Hans und wich hinter eine von weißem Schimmel bedeckte Buche zurück. Die Ungeheuer umkreisten den Bergfried der Grenzfeste und ließen sich schließlich darauf nieder.
»Der erste Teil unseres Plans scheint aufgegangen zu sein«, murmelte Hilck. »Die Monster sollen bestimmt die Besatzung der Feste benachrichtigen.«
»Und danach werden sie ausschwärmen, um uns zu suchen«, ergänzte Hans. »Wir müssen uns verbergen.«
Sie führten das Heer in eine Schlucht am Südrand des Gebirgssporns. Gegen Mittag zogen Wesen der Wilden Jagd am grauen Himmel dahin, aber sie übersahen die Truppen. Man wagte erst in der Abenddämmerung, kleinere Feuer zu entfachen. Und während die Männer ein karges Mahl zu sich nahmen, beratschlagten die Gografen mit der Muhme und den Anführern.
»Ein direkter Angriff würde scheitern und erst die Wilde Jagd und dann die Streitmacht des Eisernen Königs auf den Plan rufen«, brummte Harlung.
»Die Zeit läuft uns davon«, sagte Helmdag.
Die Muhme nahm die Pfeife aus dem Mund und sagte mit listigem Lächeln: »Wir brauchen Frauen.«
Die Männer lachten.
»Soll das ein Witz sein, Muhme?«, erwiderte Hilck. »Wozu Frauen? Wenn wir etwas brauchen, dann Waffen.«
Sanne sah ihn scharf an. »Auch Frauen können Waffen sein«, fauchte sie und zeigte auf ihre Sicheln.
»Wir brauchen sogar …
gefallene
Frauen«, fuhr die Muhme fort. »Leichte Mädchen, barmherzige Schwestern.«
Die Männer tauschten Blicke. Sie blieben stumm. Nach einer Weile fragte Helmdag: »Zur Erholung der Truppe?«
»Nein«, sagte die Muhme. »Zur Einnahme der Grenzfeste.«
»Das … das ist doch die Höhe!«, empörte sich ein Schmied, der den Truppen aus dem Lohwald vorstand.
Hans ließ den Blick durch die Schlucht gleiten. Im Schutz der hohen Felswände kauerten die Männer vor Feuern. Oben auf dem Kamm waren die Silhouetten der Wächter zwischen den kahlen Bäumen zu erkennen. »Lasst die Muhme ausreden«, sagte er schließlich. »Oder wollt ihr die Männer Pinafors, die uns vertrauen, bei einem sinnlosen Ansturm opfern?«
»Gut. Redet weiter«, knurrte Hilck von der Usse, dem Übles schwante – nämlich eine ehrlose List.
»Blaubart ist grausam und wahnsinnig«, erklärte die Muhme, »und außerdem ein Möchtegern-Weiberheld. Da liegt seine Schwäche. Er raubt nicht nur Frauen, sondern er lässt sich auch Frauen zuführen. Das weiß ich von Wanderhuren, die an meiner Tür gebettelt haben – jedenfalls von jenen, die ihre Zunge noch hatten und nicht zu verängstigt waren, um davon zu erzählen.«
Den Männern begann zu dämmern, worauf sie hinauswollte.
»Blaubart führt die Streitmacht an. Er ist nicht in Rottland«, warf Wolkan, der Wilderer, ein, der das Kommando über die Freiwilligen hatte.
»Aber seine Leute kennen seine Gewohnheiten«, sagte Hans. »Wenn Frauen an das Tor klopfen, die behaupten, er hätte sie
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