Der Eiserne König
Jagd aus, aber gegen Abend meldeten Vorposten, dass die Streitmacht des Eisernen Königs nur noch einen Tagesmarsch entfernt sei. Die zurückgebliebene Besatzung, meist Landmänner aus Flutwidde, die auf Rache für ihre ermordeten Angehörigen sannen, wetzte die Klingen. Am folgenden Tag kehrte der letzte Vorposten in aller Frühe in das Feldlager zurück: Der Feind hatte haltgemacht und formierte sich zum Angriff.
Die Besatzung handelte sofort. Fünf Männer wateten in den Dunkelpfuhl und schlugen mit Knüppeln in das Wasser – das mit den Welsen verabredete Signal. Kurz darauf brodelte Nebel herauf, als würde der See kochen. Auch die Fusel und alle Bäche und Weiher im Umkreis von mehreren Meilen entließen einen so dichten Dunst, dass man die Hand nicht mehr vor Augen sah. Im Feldlager schafften die Männer jene lebensgroßen Puppen herbei, die man im Laufe der letzten Tage aus Ried geflochten hatte. Ihre Zahl ging in die Hunderte; sie waren mit Waffenattrappen ausgerüstet und sahen im Nebel echten Kriegern täuschend ähnlich. Man postierte sie auf der Brustwehr des Schanzwerks und auf den Wachtürmen. Dann zogen sich die Männer in das Innere des Feldlagers zurück, wo man die Langbögen in drei Reihen aufgebaut hatte. Jeder Bogen saß in einem Gestell und war so justiert, dass man mit einem Zug an der Leine, die alle Sehnen einer Reihe miteinander verband, fast fünfzig Pfeile zugleich abschießen konnte. Die hintere Langbogenreihe war im stumpfen Winkel ausgerichtet, die vorderen Reihen im spitzen Winkel. Die Männer bereiteten die Bögen auf den Abschuss vor und nahmen dann ihre Positionen ein. Jeder hatte ein dickes Pfeilbündel neben sich liegen.
Aber der Angriff ließ auf sich warten. Blaubart schien darauf zu hoffen, dass sich der Nebel lichtete. Die Anspannung der Männer im Feldlager wuchs; manche fluchten leise vor sich hin, andere nickten übermüdet ein. Schließlich, sie hatten schon jedes Zeitgefühl verloren, verstummten die Wasservögel, die im Schilf des Dunkelpfuhls geschnattert und gequakt hatten. Die plötzliche Stille riss die Besatzung des Feldlagers aus ihrer Trance.
Im nächsten Augenblick kam die Wilde Jagd angebraust.
»Achtung!«, rief der Bogner, der mit den Landmännern ausharrte. Sobald das Geschrei der Ungeheuer verriet, dass sie sich über dem Schanzwerk befanden, riss er an der Leine der hintersten Langbogenreihe.
Einige Pfeile klapperten zu Boden, aber die meisten sausten in den Himmel und mitten in die Wilde Jagd. Die Schwingen der verwirrten Ungeheuer peitschten den Nebel, mehrere trudelten getroffen in die Tiefe. Die Männer beeilten sich, die Langbögen wieder schussbereit zu machen, und nach kurzer Zeit wurde ein zweiter Pfeilhagel abgefeuert. Jeder, der die Hände frei hatte, griff selbst zum Bogen und schoss auf die im Dunst auftauchenden Ungeheuer. Diese waren von der heftigen Gegenwehr so überrascht, dass sie nach kurzer Zeit laut kreischend abdrehten.
»Ob sie von den Puppen getäuscht worden sind?«, fragte ein Landmann.
Da erschallte das Gebrüll der Karontiden vor dem Feldlager. Trommelschläge hallten dumpf durch den Nebel. Marschtritte wurden immer lauter.
»Scheint so«, sagte der Bogner. »Sie glauben, dass unser Heer hier ist. Unser Befehl lautet, sie zu täuschen und hinzuhalten, und genau das werden wir tun: Wir spicken sie mit Pfeilen.« Und er löste die zwei vorderen Reihen der Langbögen aus.
Vor dem Schanzwerk ertönte ein Durcheinander von Rufen und Schmerzensschreien. Befehle gellten. Dann donnerte ein Rammbock gegen das Tor. Die Männer legten neue Pfeile auf, und wieder ging ein Geschosshagel auf die Streitmacht nieder. Dies wiederholte sich, bis das Tor barst. Als die ersten Karontiden, gefolgt von Kultknechten und Raubrittern, in das Lager eindrangen, trat die Besatzung den Rückzug an, sprang in die am Ufer bereitliegenden, aus Ried geflochtenen Kähne und paddelte auf den nebelverhüllten Dunkelpfuhl.
Ein gutes Dutzend Landmänner hielt die Stellung. Jeder von ihnen hatte seine Familie bei der Verheerung Flutwiddes verloren, und nicht wenige verfluchten sich im Nachhinein dafür, auf Gold, Suff und Lust und die allgemeine blinde Gier hereingefallen zu sein. Jeder war entschlossen, möglichst viele Feinde mit in den Tod zu reißen. Jeder leerte seinen Köcher bis auf den letzten Pfeil. Jeder stürzte sich mit blanker Waffe auf die Gegner. Und jeder fand den Tod.
Nach dem Gefecht ritt Blaubart in das Feldlager ein. Beim Anblick der
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