Der Eiserne König
durch die bedrückend reinlichen Flure. Sie kamen an Türen vorüber, hinter denen seltsame Laute ertönten: Ein Grunzen, ein Stöhnen, ein Kreischen, ein Jaulen. Aber sie begegneten keiner Menschenseele.
»Dies ist ein Hexenhaus«, flüsterte Sneewitt. »Gut, dass Hans nicht hier ist.«
»Ob die Gografen Rottland eingenommen haben?«, fragte der Dachs, der sich beunruhigt umsah.
»Ein Kultknecht sagte, dass sie die Frauen nicht mehr dorthin schicken können,« erwiderte der Fuchs.
»Dann ist die Grenzfeste wohl gefallen«, sagte Kunz.
Sie kamen zur ovalen, von Leuchtern gerahmten Tür, hinter der Reineke Fuchs Barbera zum zweiten Mal gewittert hatte. Im Zimmer herrschte Ruhe. Meister Grimbart schlich hin und schnüffelte. Als er zu seinen Freunden zurückkehrte, flüsterte er: »Sie ist es. Und ich weiß jetzt endlich, wessen Duft ich in der Grabkammer im Königskessel gerochen habe: Barberas!«
»Huh!«, japste der Fuchs. »Hast du nicht gesagt, dass man die Hexen dort mit dem Schandmal gebrandmarkt hat?«
Sneewitt starrte ihn an. »Die Trauergewänder«, hauchte sie. »Die Schleier.«
»Sie verbergen das Schandmal …«, murmelte Kunz.
»Die weisen Weiber haben den Gografen über Generationen treu gedient. Warum dieser Verrat?«, fragte Sneewitt.
Der Dachs sah sie düster an. »Vielleicht wohnen zwei Seelen in ihren Busen«, sagte er. »Die Menschen sind schwach.«
»Meine Rede«, ergänzte der Fuchs. »Tiere sind die besseren Menschen.«
Hinter der Tür erklang ein Lachen, juchzend, als würde man jemanden kitzeln. Ein Schrei des Entzückens folgte, dann trat wieder Totenstille ein.
Die Gefährten tauschten verwirrte Blicke.
»Dies ist kein Hexenhaus, sondern ein Irrenhaus«, flüsterte Reineke Fuchs. »Und diese Weiber sind entweder wahnsinnig oder verkalkt oder pervers oder sadistisch oder masochistisch oder alles auf einmal und noch viel mehr.«
»Lasst uns weitergehen«, sagte Kunz.
Nach einer Weile erreichten sie die Stelle, wo die Flure zu Gängen wurden. Treppen führten immer tiefer in Haus und Hügel hinab. Dann kam der Staub. Sneewitt zog einen Finger über den Boden und leckte daran. »Schmeckt tatsächlich nach Stroh«, sagte sie. Schließlich drangen Surren und Schnurren, Dröhnen und Stöhnen an ihre Ohren. Sie waren fast am Ziel, als hinter einer Ecke zwei Schatten über den Boden zuckten, gefolgt von schlurfenden Schritten und Gemurmel.
»Aufgepasst«, zischte Kunz und hielt Sneewitt an der Taille fest. Sie riss erbost seine Hand weg.
Die vier Gefährten drückten sich gegen die Wand.
»Das sind Kultknechte«, wisperte der Dachs. »Ob sie einen Schlüssel zur Tür des Gewölbes haben?«
Die Männer liefen an der Abzweigung vorbei, ohne die vier Gefährten zu bemerken. Beide waren staubig, und einer trug noch das Tuch vor dem Gesicht. Im Schein der Fackeln, die in weiten Abständen an den Wänden hingen, glänzten ihre Säbelarme.
»Ich lenke sie ab und locke sie zu euch«, flüsterte der Fuchs.
Der Dachs sah verblüfft zu, wie er die Kultknechte einholte und seelenruhig zwischen ihnen durchspazierte. Die Männer stutzten. Dann rief einer: »Er gehört zu der Gaunertruppe! Wir müssen ihn einfangen.« Er ging auf den Fuchs zu, der ein paar Schritte weiter stehengeblieben war. »Wie komme ich zum hiesigen Hühnerhof, bitte schön?«, fragte er die Knechte, die natürlich nur Gekecker hörten. Als der vorderste Mann ihn packen wollte, ergriff er die Flucht.
»Er wird sie in diesen Gang locken«, flüsterte Kunz.
Sneewitt stellte sich vor die gegenüberliegende Wand. Wenig später flitzte der Fuchs an ihnen vorbei. »Sie kommen!«, rief er. Kunz zwinkerte Sneewitt zu, und als die Kultknechte mit lautem Gebrüll angestürmt kamen, stellten sie ihnen jeweils ein Bein. Die Männer fielen der Nase lang auf den Boden und krachten gegen die Wand des angrenzenden Ganges, wo sie benommen liegen blieben. Kunz rannte hin und schlug sie mit dem Knauf seines Zweihänders bewusstlos. »Das ist für die ›Gaunertruppe‹!«, fauchte er.
Sneewitt durchsuchte sie. »Beide tragen ein Medaillon mit dem Bildnis der wunderschönen Barbera bei sich«, spottete sie. »Und hier …« – sie hob ein Goldkettchen – »… haben wir den Schlüssel zu des Rätsels Lösung.«
»Das läuft ja wie geschmiert«, sagte der Fuchs erfreut.
Meister Grimbart brummte skeptisch.
Kunz knebelte die Knechte, fesselte sie mit ihren Gürteln und schaffte sie in den Schatten eines Schrankes. »Was mögen die
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