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Der Eiserne König

Der Eiserne König

Titel: Der Eiserne König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Henry Eagle
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Worte wie zum Schutz vor Albträumen einen Arm um Kunz gelegt. Der Fuchs huschte durch die angelehnte Tür. Er pinkelte auf die Schwelle, um das Zimmer wiederfinden zu können, und pirschte dann durch Flure, die noch verwirrender waren als das Labyrinth der Eschenwurzeln. Wandfunzeln warfen in weiten Abständen ein fahles Licht auf Dielen und Stiegen. Die zu den Zimmern führenden Eichentüren mit den dicken Beschlägen waren ebenso verriegelt wie die Schränke und Truhen, die da und dort an den Wänden standen. Alles war so sauber, als würden die Bewohner des Hauses vom Fußboden essen, und er witterte so gut wie nichts. Hatte er sich doch geirrt? Vielleicht rochen alle weisen Weiber so … hinterlistig lüstern. Sie hatten zwar Keuschheit gelobt, aber wer wusste, welche Sehnsüchte hinter dem weisen, altersmilden Äußeren schwelten? Er dachte an seine Urgroßmutter Ermeline, die bis zu ihrem Tod ihren Balg gepflegt und jeden Jungfuchs mit schmachtenden Blicken bedacht hatte.
    All das ging ihm durch den Kopf, während er ziellos durch das Haus irrte. Er hatte längst die Orientierung verloren, aber die vielen Stiegen, die er hinuntergetrippelt war, sagten ihm, dass er sich auf einer Ebene des Hauses befand, die tiefer als das Zimmer lag. Hier war es heller, aber die fast geruchlosen Flure glichen sich weiter wie ein Ei dem anderen und sorgten dafür, dass er wie in Trance eine Pfote vor die andere setzte. Er war kurz davor, aufzugeben, als zum ersten Mal Schritte an seine Ohren drangen. »Endlich muss ich nicht mehr allein durch dieses Haus irren«, dachte er erleichtert. »Endlich ein nettes Wort, ein liebevolles Kraulen, ein leckeres Hühnchen, ein Hinweis auf Barb …« Da fiel ihm ein, dass man ihn nicht ertappen durfte, und er flitzte hinter eine Truhe.
    Ein Kultknecht bog um die Ecke. Der Duft des Essens, das er auf einem Tablett trug, ließ dem Fuchs das Wasser im Maul zusammenlaufen, und er folgte mit einigem Abstand. Die Stiefel des Kultknechts steckten in Leinenüberzügen – darum war hier kaum etwas zu wittern –, und er glitt eher über die Dielen, als dass er schritt. Schließlich blieb er vor einer ovalen, von Leuchtern gerahmten Tür stehen und klopfte so behutsam, als würde im Zimmer ein Kind schlafen. Die Tür glitt auf. Der Kultknecht fiel auf die Knie und reckte das Essen wie eine Opfergabe. Zwei Arme wurden ausgestreckt, und zarte Hände ergriffen das Tablett. Ein Befehl ertönte, im Grunde nur ein Zischen, worauf sich der Mann bückte und den Fuß küsste, der über die Schwelle geschoben wurde.
    Dann fiel die Tür zu. Der Kultknecht saß da, die Stirn auf den Dielen, und stand dann so zögerlich auf, als könnte er nicht von der Person lassen, die sich im Zimmer aufhielt.
    Der hinter einem Schrank versteckte Fuchs unterdrückte ein Keckern – da war er wieder, dieser hinterlistig lüsterne Duft! Barberas Duft! Er war durch die geöffnete Tür geströmt, als wollte er entfliehen. Sie war hier, daran hatte Reineke Fuchs keinen Zweifel mehr. War sie von ihren Schwestern, die von ihrem Verrat wussten, festgesetzt worden? Wohl kaum, denn die fußabschleckende Demut des Mannes deutete eher darauf hin, dass man sie verehrte. Da ertönte ein Ruf im Zimmer, und der Balg des Fuchses sträubte sich. Die Tür ging wieder auf, und ein zweiter Knecht trat in den Flur. Die Männer wechselten einige Worte, dann gingen sie zielstrebig davon.
    Der Fuchs schlich zur Tür und witterte. Ja, es war eindeutig Barberas Duft. Im Zimmer erklang jetzt ein leises Geplapper wie das eines satten Säuglings. Hatte Barbera Junge geworfen oder führte sie Selbstgespräche? Versteckte man sie hier, weil sie verrückt geworden war? Reineke Fuchs stand vor einem Rätsel. Schließlich raffte er sich auf und folgte den Knechten durch die Flure, deren Reinlichkeit ihm unheimlich wurde. Er sehnte sich nach Spinnweben, Mäusekötteln, Staub, Krümeln. Das ganze Haus, dessen blanke Fassade etwas Schmutziges und Widerwärtiges zu verdecken schien, schüchterte ihn ein. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass es außer der Anwesenheit Barberas noch ein Geheimnis gab, und seine Neugier übertraf seine Furcht.
    Die Kultknechte, die sich immer tiefer in die Abgründe des Hauses begaben, bemerkten ihn nicht. Die Stiegen wurden zu Treppen, die Flure zu Gängen, die Holzvertäfelung wich Stein, und dann war der Fußboden von einem Staub bedeckt, der seltsamerweise nach Stroh roch. Der Fuchs war froh, dass die Reinlichkeit endlich ein

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