Der Eiserne König
wäre diese ein Abbild des trüben Himmels. Wie erging es ihren Schwestern? Waren sie von den Kultknechten oder gar von den braven Sabberlingen befreit worden, die sie stets mit Zärtlichkeiten getröstet und in Winternächten ihr Bett gewärmt hatten? Sie ahnte Böses und spürte, dass es mit Grimm, ihrem aufsässigen Geschöpf, zusammenhing. Aber das war nicht ihre einzige Sorge: Wo, fragte sie sich, war der Bart des Eisernen Königs? Zum Glück wussten die Gografen ihn nicht zu nutzen – darin bestand ihr einziger Trost.
Durch den Schwenk der Streitmacht nach Nordosten blieben die Gefährten von einer Feindberührung verschont. Grimm war rätselhaft heiter und schmetterte Räuberweisen, was den Fuchs veranlasste, sich Eicheln in die Ohren zu stopfen, die aber immer wieder herausfielen.
»Er soll aufhören!«, jaulte er. »Aufhören!«
Grimm feierte das lustige Räuberleben mit hohl in der Brust hallender Stimme, ohne sich beirren zu lassen.
»Lass ihn nur«, brummte Meister Grimbart. »Denk an das Sprichwort: ›Wenn die Menschen Lieder singen, können sie kein Unheil bringen‹.«
»Sie singen auch, wenn sie in den Krieg ziehen«, fauchte der Fuchs.
Es regnete nicht mehr, klarte aber auch nicht auf. Dunst hing über der Hohen Heide, die Luft war klamm, und die Pferde versanken oft bis zu den Fesseln im nassen Boden. Trotzdem galoppierte man, was das Zeug hielt, und erreichte gegen Abend Rottland. Nicht weit von dem Abgrund, der vor der Grenzfeste gähnte, erschallte ein Ruf: Man war auf eine Verdächtige gestoßen. Die übrigen Gefährten ritten hin und erblickten zu ihrem Erstaunen eine alte Bekannte: Die Wirtin der Herberge ›Zur munteren Matrone‹. Sie stand barfuß da, eine speckige Schürze über dem Kleid, vor sich eine mit schwarzem Modder beladene Schubkarre. Ihr Blick geisterte über die Reiter, dann griff sie in die Fuhre und kreischte: »Mein Gold! Fauliges Stroh!« Sie lachte wie irre, schmierte sich Dreck auf Brust und Gesicht, stopfte sich sogar etwas in den Mund. »Mein Gold ist nur noch fauliges Stroh«, greinte sie wieder. »Erklärt mir das.« Sie zeigte so anklagend auf die Gefährten, als hätte sie die Schuldigen endlich gefunden. »Warum ist mein Gold nur noch fauliges Stroh?«
Grimm, der sie grinsend betrachtete, ahnte, woran es lag: Mit dem Tod der weisen Weiber und der Brandschatzung ihres Hauses war der Zauber erloschen, und das Gold hatte sich in Stroh zurückverwandelt. Sein Grinsen wurde noch breiter, als er an Zinken dachte, der jetzt auf Säcken voller Modder saß. Schade um den ruhigen Lebensabend – hohoho! All die goldgierigen Trottel in Pinafor hatten nur noch verfaultes Stroh in den Taschen. Er lachte laut auf.
»Schweig!«, kreischte die Wirtin und bewarf ihn mit Dreck. »Mein Gold ist weg, meine Mädchen sind fort, und die Reize, mit denen ich die Männer bezirzt habe, sind verblüht. Ich habe immer auf die Schönheit gesetzt, aber die Schönheit ist nur ein Furz. Ich bin ruiniert!« Sie schob ihre Fuhre zeternd bergab und war bald in der Dämmerung verschwunden.
»Sie scheint verwirrt zu sein«, sagte Alwine mitfühlend. »Wir hätten sie an unser Feuer einladen sollen.«
»Hm«, brummte die Muhme, steckte sich die Pfeife zwischen die Zähne und ritt auf ihrem Maultier in die Grenzfeste. Die Gebäude und der von Trümmern übersäte Hof wirkten wie ausgestorben. In den Kerkertürmen hockten Eulen, die beim Eintreffen des Reitertrupps feindselig kreischten. Sanne sah zum Bergfried auf – das Spitzbogenfenster stand zum Lüften offen, und als sie absaß, erblickte sie Horn, der eine Leiter aus dem hochgelegenen Eingang schob und nach unten stieg. Sie rannte jubelnd auf ihn zu, fiel in seine Arme.
»Horn!«, rief sie. »Wie geht es dir?«
»Es ging mir nie besser«, antwortete er.
Sanne nickte. Horn wirkte tatsächlich rundum froh. Er trug einen bestickten Morgenmantel aus Samt, wahrscheinlich aus Blaubarts Besitz, und eine Nachtmütze mit silberner Quaste.
»Wohin wollt ihr?«, fragte er.
»Zur Esche«, erwiderte sie. »Wir sollen den Bart des Eisernen Königs vernichten.«
»Im Gegensatz zu dir sind wir noch nicht im Ruhestand«, fügte Sneewitt spitz hinzu.
Horns Blick fiel auf Grimm, aber bevor er seinem Erstaunen Ausdruck verleihen konnte, trat jene Frau neben ihn, um deretwillen er die Gefährten verlassen hatte. Er legte ihr einen Arm um die Taille und zog sie zu sich heran. »Darf ich vorstellen – Rapunzel«, sagte er.
Die Frau reichte
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