Der Eiserne König
schleppend, und sie wäre fast gestolpert. Sie fiel in Grimms Arme, ohne zu merken, wer da vor ihr stand, und ließ ihre Stirn gegen seine Brünne sinken.
»Das Mädchen mit den grünen Augen«, flüsterte Grimm, der nicht wusste, wie ihm geschah. Dies war die Frau, in deren Feuer seine Männer verbrannt waren. Aber wo war sein Hass auf sie geblieben? Er fühlte sich hohl und leer, als er auf den blonden Schopf von Maleen hinabsah.
Zeisig und Sperling flatterten auf ihre Schulter. Sie ließ sich auf einem Stein nieder und vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich weiß nicht weiter«, sagte sie. »Die Esche bleibt stur, sie will sterben. Und die grüne Kraft ist kaum noch zu spüren.« Sie sah zum Baum, der im Wurzellabyrinth aufragte. Er wirkte so kraftstrotzend wie immer, aber wenn man länger hinschaute, bemerkte man die zahlreichen kahlen Stellen. Ein trockenes Rascheln erfüllte die Grotte, und manchmal drang ein gequältes Ächzen aus den Tiefen der Erde.
»Ich kann nicht mehr«, murmelte Maleen, den Tränen nahe. »Die blinden Feen waren zu dritt, aber ich bin auf mich allein gestellt. Hat Hans meine Traumbotschaft erhalten? Konnte er damit etwas anfangen? Es waren die letzten Worte der Esche. Danach ist sie verstummt.«
Sanne nahm sie tröstend in die Arme. »Hans hat Verbündete gefunden«, sagte sie. »Es handelt sich zwar um Kleingetier, aber vielleicht vollbringt es ja wirklich Großes.«
Maleen schwieg. Ein Beben ging durch ihren Körper.
»Siehst du, wie erschöpft sie ist?«, zürnte die Muhme, die sich zu Grimm umwandte. »Sie braucht Unterstützung. Was muss mit dem Bart geschehen?«
Grimm starrte die Frauen an. Sein Mund war nur noch ein Strich im brandnarbigen Gesicht.
»Heraus mit der Sprache«, rief die Muhme ungeduldig. »Du willst doch deine Rache, oder?«
Eschenlaub raschelte zu Boden. Die Grotte schien vom Staub der Vergänglichkeit erfüllt zu sein. Schließlich sagte Grimm: »Der Bart muss in einem Bleikästchen versiegelt und bei Neumond in mit Ochsenblut, Ziegenmilch und Ebersaft benetzter Erde unter der Esche vergraben werden.«
Die drei Frauen starrten ihn an.
»Neumond?«, fragte Sanne.
»Ein Bleikästchen ist vorhanden«, sagte die Muhme. »Aber woher sollen wir Saft, Blut und Milch nehmen?«
Maleen hob den Kopf und murmelte: »Wir werden all das nie rechtzeitig finden. Wir sind verloren.« Sie stand auf und wankte zum Wurzellabyrinth.
Die Muhme stand ratlos da. »Ebersaft!«, zischte sie verärgert. »Und du hast dich bestimmt nicht verhört?«
»Nein«, antwortete Grimm. »Das waren die Worte der weisen Weiber.«
»Verflucht!«, schrie die Muhme und warf das Bleikästchen so heftig zu Boden, dass eine Delle im Metall zurückblieb.
»Ich werde suchen, was ihr braucht«, erklärte Grimm.
Die Muhme beäugte ihn skeptisch, als er sich auf den Rappen schwang. »Folgt ihm«, bat sie Sneewitt und Rumpenstünz. »Er hat eine so große Wut auf sich selbst, dass er vielleicht etwas Unberechenbares anstellt.«
Die beiden Gefährten liefen zu ihren Kaltblütern.
Grimm trabte in der Höhle der hallenden Tropfen an Meister Grimbart und Reineke Fuchs vorbei, die sich erstaunt nach ihm umdrehten. Nach einer Weile begegneten sie Sneewitt und Rumpenstünz, die ihnen grüßend zunickten, aber stumm weiterritten.
»Was wird hier gespielt?«, fragte der Fuchs.
Als sie die Grotte erreichten, saß die Muhme griesgrämig da und paffte Rauchkringel. Sanne stand an Hardts Grab. Beim Anblick der Tiere rief sie: »Ah, da seid ihr ja. Wir brauchen Ebersaft, Ochsenblut und Ziegenmilch, um den Bart unter der Esche begraben zu können. Grimm hat sich auf die Suche begeben.«
»Ebersaft?«, keckerte der Fuchs. »Wie ekelhaft!«
»Der arme Hardt«, seufzte Sanne. »Aber vielleicht ist ihm das Schlimmste erspart geblieben.«
»Unsinn«, erwiderte der Dachs. »Der Tod ist immer sinnlos. Das Gerede vom ›ehrenvollen‹ oder ›gnadenvollen‹ Tod ist nur Heuchelei. Damit macht man sich die Sache zu leicht.«
Sie standen lange da und gedachten Hardts. Das Zwielicht in der Grotte verdichtete sich zur Dämmerung. Die Streitmacht des Eisernen Königs würde bald auf das Heer der Gografen stoßen, und der Ausgang der Schlacht war absehbar. Der Bart musste also rasch unter die Erde. Als Sanne nach Maleen sah, saß diese wie in Versenkung vor dem riesigen Stamm, war in Wahrheit aber vor Erschöpfung eingeschlafen. Sanne weckte sie nicht, sondern ging zum Heiligen Weiher. Das Laub fiel so dicht, als
Weitere Kostenlose Bücher