Der Eiserne König
den Gefährten artig die Hand. Man sah ihr die lange Haft im Bergfried an: Kummerfalten furchten ihre Stirn und zogen sich wie mit dem Grabstichel ziseliert um ihre Mundwinkel. Aber ihre frühere Schönheit schien noch durch, die grauen Augen strahlten wie Perlen in der Sonne, und ihr weißblondes, zu einem hüftlangen Zopf geflochtenes Haar war das eines jungen Mädchens.
»Glückspilz«, sagte Rumpenstünz. »Ich freue mich für dich, alter Halunke.«
Rapunzel schmiegte sich selig an den fülligen Horn.
Da humpelte die Muhme herbei, begleitet von Reineke Fuchs und Meister Grimbart. »Aha!«, rief sie. »Der von der Fahne gegangene Weiberheld. Endlich aus den Federn gekommen? Ich habe etwas für dich.« Sie zog ein aufgerolltes Pergament unter dem Mantel hervor und reichte es ihm. »Die Gografen geben dir Rottland zum Lehen. Du sollst die Feste aufbauen und bemannen und Pinafor gegen Feinde verteidigen.«
»Zum Lehen?«, fragte der verdutzte Horn, senkte sein Kinn in ein Bett aus Fettwülsten und las die Urkunde, wobei ihm die Bommel der Nachtmütze ins Gesicht fiel. »Bemannen? Mit wem?«
»Sorge für Nachwuchs«, keckerte der Fuchs. »Dann hast du deine Mannen.«
»Sehr zuversichtlich«, grunzte der Dachs. »Der Feind ist noch lange nicht besiegt, und die Gografen verteilen schon Lehen.«
»Nieder mit dem Eisernen König!«, brüllte Grimm. »Er wird bald für immer in der Finsternis zwischen dem Nichts und dem Nichts umherirren.«
Horn sah ihn irritiert an. »Ist Grimm jetzt auf unserer Seite?«, brummte er.
»Irgendwie schon«, erwiderte der Fuchs. »Aber er kocht sein eigenes Süppchen.«
Der Rappe schnaubte und tänzelte, als Grimm aus dem Sattel glitt.
Sie schliefen in der Wachstube. Wenn man von den Eulen absah, die mit anklagenden Rufen über Rottland flogen, blieb die Nacht ruhig. Die Gefährten brachen noch vor dem Morgengrauen auf.
»Wir halten die Stellung«, rief Horn zum Abschied in den Nebel, der aus dem Abgrund vor der Mauer aufstieg. »Mein untertänigster Dank an die Gografen. Ich akzeptiere. Rottland ist jetzt mein Lehen.«
Sanne winkte dem Paar. Dann preschte der Trupp in den Greting und spornte die Pferde zu einem so scharfen Galopp an, dass Fuchs und Dachs schon bald nicht mehr mithalten konnten.
»Wir kommen nach!«, schrie Meister Grimbart.
Sneewitt drehte sich im Sattel um und winkte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte.
»Ein Glück«, hechelte Reineke Fuchs. »Grimms Geträller ist unerträglich. Sind alle Untoten so lausige Sänger?«
Der Dachs trabte schweigend weiter.
Einmal sichteten die Gefährten Wesen der Wilden Jagd, die nach Osten flogen, blieben aber unbehelligt. Am Nachmittag ritten sie durch die schmale, zur Esche führende Schlucht und durchquerten die Höhle der Hallenden Tropfen. In der Grotte saßen sie ab. Die Pferde zitterten, ihr Fell war verschwitzt. Das Maultier stand da wie versteinert und senkte nicht einmal die Ohren, als die Muhme seinen Kopf tätschelte.
»Ich bin zu alt für Gewaltritte«, stöhnte sie und nahm das Bleikästchen mit dem Bart vom Sattel. »Ich spüre jeden Knochen, und über mein Gesäß breite ich lieber den Mantel des Schweigens.«
Alwine grinste schief und rieb ihren Hintern.
Während Rumpenstünz die müden Pferde zur Tränke führte, sah sich Grimm in der weiten Grotte um. Hier war er zum dritten Mal besiegt worden; genau genommen hatte er seit seiner Wiederbelebung nur Niederlagen eingesteckt. Nach all den Jahren als Räuberhauptmann, in denen er gebrandschatzt, gemordet und geplündert hatte, war er nur noch ein dummer, nutzloser Diener. Eine Bratröhrenfratze. Ein Hampelmann, an dessen Fäden Barbera gezogen hatte. Er knirschte mit den Zähnen, ballte die Fäuste.
»He, du!«, rief die Eichhörnchendame, die von einer Wurzel gesprungen war und sich hinter Sanne verbarg. »Was tust du hier? Du bist unser Feind.«
»Er weiß, was mit dem Bart des Eisernen Königs geschehen muss«, erwiderte Sanne. »Er will uns helfen.«
Die Eichhörnchendame sah Grimm skeptisch an
Da erschien Maleen. Vor dem Hintergrund der Wurzeln, die sich in wuchtigen Bögen verschlangen, wirkte sie zerbrechlich und klein, und als sie näher kam, sah Sanne die Ringe um ihre Augen. Die Falten rechts und links ihres Mundes hatten sich vertieft, und in ihren honigfarbenen Haaren glänzten silberne Strähnen – es laugte sie offenbar aus, die grüne Kraft und die todgeweihte Esche zu stärken. Ihre Schritte waren nicht mehr federnd, sondern
Weitere Kostenlose Bücher